Mein Lieblingsmöbel Weil ihn der freie Geist eines Mannes beeindruckt hat, steht im Haus des St. Gallers Andreas Bechtiger nun ein Stuhl – auf dem es sich erst noch schaukeln lässt.
Andreas Bechtiger lebt mit 36 Jahren wieder dort, wo er aufgewachsen ist: im Elternhaus in St. Georgen. Ein Muttersöhnchen ist er deswegen nicht. Denn die Eltern sind ausgezogen. Auch sonst ist in dem Gebäude fast nichts mehr so, wie es damals war. Vor eineinhalb Jahren hat der St. Galler Produktegestalter das 250 Jahre alte Haus mit seiner Frau von Mutter und Vater übernommen – und umgebaut.
Bechtiger packte selbst mit an. Er verkleidete Holzwände mit Gipsplatten, belegte den Boden mit erdfarbenem Korkbelag, veredelte Ikea-Regale mit Lärchenholz. Einzig der Tisch im Esszimmer ist ein Überbleibsel von früher. «Einst stand er im <Alperösli>, einem Restaurant, das in diesem Haus eingemietet war», erzählt Bechtiger und streicht mit der Hand liebevoll über die Oberfläche des Tisches. Die Gebrauchsspuren zeigen: Dieser Tisch, er hat schon viel erlebt. «Vintage-Stücke versprühen Charme. Am schönsten ist es, wenn man die Geschichte eines Möbels selber schreibt und es nicht gebraucht in einem Laden kaufen muss. Bei mir und diesem Tisch ist das so.»
Sein Lieblingsmöbel ist dennoch ein anderes. Ein Stuhl. Denn Stühle mag Bechtiger besonders. Auch das hat mit seiner Familie zu tun. Bechtigers Eltern betreiben eine Polsterei, möbeln dort Fauteuils und Diwane auf, schenken ihnen eine neue Sitzfläche und damit ein zweites Leben. Die Polsterei war nicht nur Arbeitsort von Vater und Mutter, sondern auch Experimentierstätte für den Sohn. Mit zehn Jahren bastelte er seinen ersten Stuhl – aus Holzklötzli. So richtig rund wollte die Sitzfläche nicht werden. Die Begeisterung für Stühle ist dennoch geblieben.
Bechtigers Lieblingsstück thront im Wohnzimmer, ist für ihn eher Kunstwerk als Gebrauchsgegenstand: ein «Seefelder Stuhl» des Zürcher Designers Tom Strala. Der Sitz besteht aus Rattangeflecht, die Beine und Kufen sind aus Stahl. «Mir gefällt die Kombination von eleganter Linienführung und funktionalem Gestell.» Gästen falle der Sessel jeweils sofort auf. «Viele probieren ihn dann aus.»
Die meisten seiner Möbelstücke hätten zu ihm gefunden und nicht umgekehrt, sagt Bechtiger. So sei es auch mit diesem Stuhl gewesen. Das Stück fiel ihm an einer Designmesse auf, an der er selber ausstellte. Später kam er mit einem «coolen Typen» ins Gespräch. «Mich beeindruckte der freie Geist dieses Menschen. Heute muss Design ja immer auch Rendite abwerfen, das schränkt in der künstlerischen Freiheit ein. Nicht so diesen Mann.» Schliesslich stellte sich heraus: Vor dem St. Galler stand Tom Strala und somit der Macher des Stuhls, den Bechtiger schliesslich kaufte. Als Erinnerung an die Begegnung und an die Messe, die für ihn gut lief.
Das war vor ein paar Monaten. Noch immer betrachtet Bechtiger den Stuhl gerne. Unterdessen benützt er ihn auch häufiger. «Schaukle ich mit meinem Sohn Nik darin, ist die Welt für uns in Ordnung.»