Nicht erst seit der Juden-Aktion der Luzerner Anhänger in St.Gallen schockieren Fussballfans die Öffentlichkeit immer wieder. Von inszenierten Hinrichtungen, Schweineköpfen auf dem Rasen und gefeierten Massenmördern.
Ein überdimensionaler Schlächter, in der einen Hand ein Schwert, in der anderen den Kopf eines Mannes: Diese Choreographie sorgte nach dem Meisterschaftsspiel zwischen Standard Lüttich und Anderlecht für grosse Empörung. Mit der Inszenierung gaben die Heimfans ihrer Verachtung für Steven Defour Ausdruck – jenen Spieler, dem sie wenige Jahre zuvor noch zugejubelt hatten. Sein Vergehen: Er spielt mittlerweile nicht mehr für Lüttich, sondern für Anderlecht. Und deshalb schritten die Anhänger zur Tat: Sie enthaupteten Defour symbolisch und präsentierten dem Publikum den Kopf des Verräters. Dies in Zeiten, in denen der Islamische Staat die Welt mit Videos von enthaupteten Geiseln schockiert.
"Die Menschen gehen immer weiter"
"Wäre ich Fan von Standard Lüttich, und eins meiner Idole hätte in Anderlecht unterschrieben, wäre ich auch wütend", sagte Steven Defour zur Aktion. Er stellte zudem fest, dass die Menschen immer weiter gingen – nicht nur im Fussball: "Früher wurden die Spieler ausgepfiffen, dann beleidigt. Jetzt werden sie mit Gegenständen oder Petarden beworfen." Oder symbolisch mit Schweinen gleichgesetzt – so wie es dem österreichischen Profi Florian Kainz im vergangenen Herbst passiert ist. Nachdem er von Sturm Graz zu Rapid Wien gewechselt hatte, empfingen ihn die Grazer Fans bei der Rückkehr in die frühere Heimat mit einem Schweinekopf, den sie über einem Trikot von Kainz aufgespiesst hatten.
Ähnliches war bereits im November 2002 Luis Figo, Mittelfeldregisseur von Real Madrid, widerfahren: Als er im Stadion seines Ex-Clubs Barcelona einen Eckball für die Hauptstädter treten wollte, flog ein Schweinekopf auf den Rasen. Der Portugiese weigerte sich in der Folge, den Corner zu treten, dem Spiel drohte kurzzeitig sogar der Abbruch.
Zum Abschuss freigegeben
Dass Fussballfans vor fast nichts zurückschrecken, um missliebige Personen zu diffamieren, müssen auch Vereinspräsidenten erleben. Vor kurzem sorgten Anhänger des zweiten deutschen Bundesligisten Erzgebirge Aue für Schlagzeilen. Beim Spiel gegen Red Bull Leipzig hissten sie ein Transparent mit folgender Botschaft an die Gästefans: "Ein Österreicher ruft, und Ihr folgt blind. Wo das endet, weiss jedes Kind. Ihr wärt gute Nazis gewesen!" Damit setzten sie die Fans aus Leipzig und Dietrich Mateschitz, den Boss des verhassten Leipzig-Eigentümers Red Bull, auf eine Stufe mit Nationalsozialisten beziehungsweise Adolf Hitler. Erzgebirge Aue distanzierte sich sofort nach dem Spiel vom Spruchband: "Drei Punkte gewonnen, doch am Ende eine Menge Ansehen und Anerkennung verloren!", schrieb der Club auf Twitter und sprach danach Stadionverbote aus.
Allerdings hat auch die erste Bundesliga einen Vereinsboss, der für gegnerische Fans ein Feindbild ist: Dietmar Hopp, milliardenschwerer Eigentümer von Hoffenheim, muss immer wieder Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Und wurde gar schon zum Abschuss freigegeben: "Hasta la Vista, Hopp!", stand auf einem Transparent, das Anhänger von Borussia Dortmund im Herbst 2008 zeigten – darauf zu sehen: Hopps Konterfei hinter einem Fadenkreuz.
"Danke, Leibacher!"
Beschimpfen, diffamieren, provozieren: Dieser innere Antrieb gewisser Fans kann dazu führen, dass in Stadien sogar Massenmörder gefeiert werden. So geschehen im Frühling 2004, als der Schlittschuhclub Bern beim EV Zug gastierte. "Danke, Leibacher!" stand auf einem mit einem Totenkopf verzierten Transparent, das die Berner Fans hissten. Der Skandal war perfekt, spielte das Spruchband doch auf Friedrich Leibacher an, der drei Jahre zuvor im Zuger Kantonsparlament 14 Politiker erschossen hatte. In der Folge entschuldigte sich der SC Bern in Zeitungsinseraten für die Aktion seiner Anhänger – und diese selbst doppelte mit einem Entschuldigungs-Transparent bei einem Match nach.
Ebenfalls wegen eines Massenmörders gab es im Jahr 2012 Empörung im Umfeld des Fussball-Bundesligisten Hannover: Ultras hatten bei einem Spiel ein Banner mit dem Gesicht von Fritz Haarmann gezeigt. Dieser hatte Anfang des 20. Jahrhunderts 24 Menschen getötet, einige seiner Opfer zerstückelte er in der Folge.
Gasgeräusche nachgeahmt
Antisemitismus und Rassismus: Was in allen Lebensbereichen auftritt, macht auch vor den Sportstadien nicht Halt. Auf europäischer Ebene pflegen die Fans von Ajax Amsterdam und Tottenham Hotspur eine jüdische Identität. Genau darauf zielen gegnerische Fans, wenn sie beispielsweise das Zischen von Gaskammern nachahmen, "Hamas! Hamas! Juden ins Gas" schreien oder einen Song namens "Wir gehen auf Judenjagd" anstimmen. Gegenüber Spiegel Online relativiert Hans Knoop, jüdischer Journalist und Sprecher einer Stiftung gegen Antisemitismus im niederländischen Fussball, allerdings: "Die gegnerischen Fans sind nicht unbedingt antisemitisch eingestellt, aber sie sind gegen Ajax. Und wenn Ajax die Juden sind, dann müssen sie eben gegen die Juden sein."
"Affen, haut ab!"
Auf Schweizer Fussballplätzen – auch im St.Galler Espenmoos – waren Affenlaute und Bananenwürfe gegen schwarze Spieler bis in die 1990er-Jahre hinein gang und gäbe. Besonders betroffen war Charles Wittl, der damals für Xamax Neuenburg spielte. In einigen Ländern bestehen diese Probleme bis heute – speziell in Russland: Dort kommt es vor, dass sogar aus dem VIP-Bereich der Stadien Bananen auf den Rasen fliegen. In den Stadien wurden schon Transparente mit den Aufschriften "Spartak nur für Weisse!" oder "Affen, haut ab!" aufgehängt – oder Adolf Hitler erhielt per Spruchband und mit den Worten "Herzlichen Glückwunsch, Opa!" Geburtstagsgrüsse. Zudem kam es vor, dass sich Fanclubs gegen die Verpflichtung von schwarzen Spielern durch ihren Verein wehrten.
Als Nationalspieler Haminu Dramani noch in der russischen Liga spielte, sagte er deshalb, er würde niemals einem afrikanischen Spieler empfehlen, nach Russland zu gehen. Der frühere Bundesliga-Stürmer Kevin Kuranyi seinerseits, aktuell für Dynamo Moskau tätig, gab der "Welt am Sonntag" im vergangenen Herbst ein Rezept zu Protokoll, das durchaus auch andere Geschmacklosigkeiten verhindern könnte. Es heisst: mehr Zivilcourage. "Seinem Nachbarn auf der Tribüne zu sagen, er solle seinen Mund halten, wenn er mit Affenlauten anfängt, das wäre ein erster grosser Schritt", sagte Kuranyi.