Das Schlachten hat begonnen

Trotz weltweiter Proteste gegen das Abschlachten von Delphinen setzt Japan seine Jagd auf die Säuger fort. Gemäss Augenzeugen sind seit gestern bereits 250 Tiere getötet worden.

Angela Köhler
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TOKYO. Wer nicht weiss, was seit gestern in der japanischen Bucht von Taiji abläuft, könnte den Anblick zunächst für pure Naturromantik halten. An den malerischen Klippen im Nordwesten des Stillen Ozeans mit winzigen Buchten, felsigen Inselchen und dicht bewaldeten Hügelketten sammeln sich alljährlich Tausende Delphine. Boote kreuzen durch die flachen Lagunen von Taiji, einer 700 Kilometer südlich von Tokio gelegenen Region. Ihre Fänger waten in Neoprenanzügen durch das flache Gewässer des Nationalparks der Halbinsel Kii, tauchen und schwimmen oft stundenlang neben den Tieren – und treffen schliesslich ihre Wahl.

In die Falle getrieben

Was dann abläuft, gehört zu den brutalsten Tierquälereien, die man sich vorstellen kann. Bei Sonnenaufgang legt die Fänger-Armada durch lautes Schlagen mit Metallstangen auf das Wasser zunächst den Orientierungssinn der Delphine lahm. Die in die Enge getriebenen Säuger versuchen hektisch, einen Ausweg aus ihrer Falle zu finden, aber Sperrnetze hindern sie daran, das rettende offene Meer wieder zu erreichen. Je zwei, drei mit Speeren und Haken bewaffnete Fänger treiben die wild gegen ihr Schicksal ankämpfenden, zappelnden Tiere in ein Lagunenbecken.

Die schönsten Exemplare werden für Delphinarien aussortiert, die Masse stirbt im bestialischen Gemetzel der Fischermesser. Manchen wird die Kehle aufgeschlitzt und sie verbluten. Besatzungen von Frachtschiffen wundern sich oft über Ströme von Blut, die das Meer in kilometerlangen Streifen tiefrot färben.

Insider vermuten, dass japanische Dealer neuerdings bis zu 150 000 Dollar für einen prächtigen «Flipper» von den Betreibern der Tiershows in China, Thailand oder Südkorea erhalten. Ein schneeweisses Albino-Delphin-Baby, wie es zu Wochenbeginn in Taiji gefangen wurde, kann einen Verkaufspreis von mehr als einer halben Million erzielen, falls es die Torturen überlebt. Augenzeugen berichten, dass der jüngsten Delphinjagd schon 250 der als menschenähnlich geltenden Meeressäuger zum Opfer gefallen sind. Darunter sehr viele Jungtiere.

Was bisher amtlich totgeschwiegen wurde, löste aber in diesem Jahr wenigstens prominenten Protest aus: Die neue amerikanische Botschafterin in Japan und Tochter des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, Caroline Kennedy, twitterte ihren Zorn über die «Unmenschlichkeit solcher Treibjagden mit Todesfolge». Nach offiziellen Angaben erhalten rund zwei Dutzend Fischerfamilien von Taiji eine der lukrativen Lizenzen zum Töten von Delphinen. Dennoch verdient der gesamte Ort daran. Ein Fischrestaurant reiht sich an das andere und alle bieten öffentlich Gerichte mit Wal- oder Delphinfleisch an.

Eine Sturmwelle des Protests

Nach dem erschütternden, mit einem Oskar prämierten Dokumentarfilm «The Cove» (Die Bucht) der Tierschutzaktivisten Richard O'Barry und Louie Psihoyos schien 2009 eine Sturmwelle des internationalen Protests das üble Treiben gestoppt zu haben. Klammheimlich wurde in Taiji ein «Tötungsverbot» erlassen. Und auch der schwere Tsunami nach dem Beben von Fukushima im März 2011, als an der nordjapanischen Pazifikküste Tausende Fischerboote zerstört wurden, verschaffte den Delphinen eine Atempause. Tierschützer schätzen, dass seither die Zahl der gejagten Säugetiere von mehr als 18 000 auf rund 3000 zurückgegangen ist. Aber es blieben stets erhebliche Zweifel, ob das Gemetzel von Taiji tatsächlich vorüber war. Im modernen japanischen Volksbewusstsein gilt die Delphinjagd eher als 400 Jahre alte Tradition denn als moralischer Frevel.