Zimmerpflanzen sind schon lange nicht mehr spiessig. «Green Living» nennt sich der anhaltende Trend zur Begrünung der Innenräume. Die Königin dieses Revivals nennt sich Monstera deliciosa und hat schon Picasso und Matisse fasziniert.
In den Gängen dieses modernen Tempels der Kunst und des Designs gibt es keine Bilder, keine Farben. Nichts soll an der neuen Kunsthochschule im Zürcher Toni-Areal den Blick ablenken. Und dann steht da plötzlich diese Pflanze, irgendwo im zweiten Stock, in einem Seitengang. Ihre grossen, eingeschnittenen Blätter wuchern Richtung Licht, der viel zu kleine Topf bietet ihr kaum Halt. Es ist eine Monstera deliciosa. Zu deutsch ein köstliches Fensterblatt, wie Grossmutter früher eines im Fernsehzimmer stehen hatte. Was die Enkelin noch genau weiss, weil die Staubschicht auf den Blättern doch recht imposant war und der das Zimmer verdunkelnde Wuchs auch.
Was die heute erwachsene Enkelin nicht gewusst hat: die Monstera ist aus der Versenkung des schlechten Geschmacks ins Scheinwerferlicht des guten Stils zurückgekehrt. Und mit ihr die Schwiegermutterzunge, die Fetthenne, der Geweihfarn, das Dickblatt und wie all die bislang als spiessig verschrienen Zimmerpflanzen heissen. Seit Jahrzehnten kämpfen die zähen Exoten in muffigen Büros und Schulzimmern für ein besseres Raumklima. Neuerdings schaffen sie es zusammen mit Schauspielerin Jennifer Lawrence aber auch aufs Cover der «Vanity Fair». Sie wuchern bei jedem zweiten Modeshooting ins Bild, umrahmen Designer-Sofas, gehören auf jeden Einrichtungsblog und zieren in grafischer Form Lampenschirme, Tischtücher, Hemden und Tapeten.
Nix da mehr mit Spiessigkeit in Top(f)form. «Green Living» heisst das neue Zauberwort und Zimmerpflanzen sind für das neue «Dschungel Fever» das exotische Mittel der Wahl. Auf dass wir uns wilde Natur in unsere durchgestylten Wohnungen holen. Unsere Sehnsucht nach etwas Lebendigem mit einem Bogenhanf stillen. Authentizität bei kleinen Echeverien suchen und weil wir es nicht einmal mehr schaffen, eine Katze regelmässig zu füttern, legen wir uns eine Kakteensammlung zu, die brauchen nur drei Mal im Jahr Wasser. Die Presseabteilungen von Ikea vermelden denn auch prompt, dass die Nachfrage nach Kakteen im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen sei.
Bei der Migros werden Schwiegermutterzungen und Yucca-Palmen wieder vermehrt gekauft. Und die monströse Monstera hat man wieder neu ins Sortiment aufgenommen.
Denn die Monstera, das weiss man nicht nur an der Kunsthochschule und bei der Migros, ist die Königin der grünen Rückeroberung. Königlich ist allein schon ihr Wuchs. Picasso erzählte einmal, dass er seine Monstera in die Badewanne stellte, während er für einige Monate auf Reisen war – bei seiner Rückkehr habe sie das ganze Badezimmer in Beschlag genommen und ihn beinahe aufgefressen. Picasso war nicht der einzige Künstler, welcher dem protzenden Tropengewächs verfallen ist. Auch Matisse konnte sich gar nicht satt sehen an ihr. In seinem Atelier im französischen Cimiez befand sich eine Monstera-Pflanze, die meterhoch den Raum ausfüllte. Im Spätwerk des Künstlers taucht die ornamentale Form ihrer Blätter denn auch immer wieder auf. Und im kalifornischen Case-Study-Haus von Charles und Ray Eames belebt noch Jahre nach dem Tod des Designerpaares eine riesige Monstera deliciosa den Raum.
War das köstliche Fensterblatt schon früher der Liebling der Künstler und Designer, so ist sie heute auch auf Social Media ein Star. Die Monstera, welche sich der hippe Berliner Laden «The Store» vor einiger Zeit zwecks «Schaffung einer heimeligen Atmosphäre» ins Gebäude stellte, wird fast täglich fotografiert und gepostet. Immerhin handelt es sich dabei um eine zwei Meter hohe Pflanze, welche stolze 200 Jahre alt und 2350 Euro teuer sein soll.
Das Revival der Pflanze lancierten vor einigen Jahren Loft-Besitzer, welche das Fensterblatt zur Begrünung ihrer industriellen Hallen einsetzten. Und da die Monstera so ganz wunderbar zum sowieso schon lange angesagten 1950er-Jahre-Stil à la «Mad Man» passt, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Möbeldesigner begannen, ihre neusten Kreationen vor oder neben der Monstera abzulichten. Zwecks zeitgeistiger Neuinterpretation und weil alles Nostalgische eh grad gut ankommt.
Grafiker, Fotografen und Modedesigner aus aller Herren Ländern verfielen ebenfalls der köstlichen Riesin und ihren architektonisch anmutenden Blättern. Eine der beliebtesten Bildserien auf der Künstlerplattform Juniqe.ch trägt den Titel «Classic-Botanical-Leave» und zeigt nichts anderes als Blätter exotischer Zimmerpflanzen in Grossformat. Und die kalifornische Bademodemarke Greenlee lancierte gerade eine ganze Kollektion mit Monstera-Prints.
Wer nun meint, eine derart omnipräsente Pflanze sei gut erforscht, der irrt. Woher der Gattungsname kommt, ist umstritten, von ihrer monströsen Gestalt jedenfalls nicht. Der Zusatz deliciosa ist hingegen ihrer Frucht geschuldet. Diese soll ganz wunderbar nach Ananas und Banane schmecken. Was aber wenig nützt, da Widerhaken im Fruchtfleisch den Verzehr arg trüben. In Gefangenschaft blüht die Monstera aber sowieso erst nach 15 oder gar 20 Jahren. Wer es so lange mit ihr ausgehalten hat, der hat erstens eine grosse Wohnung und ist zweitens trendresistent.