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Panorama
Einst war die Jeans eine widerstandsfähige Arbeitshose, heute ist sie ein günstiger Modeartikel. Den Preis bezahlen Umwelt und Arbeiter an den Produktionsorten. Doch immer mehr Labels setzen auf Nachhaltigkeit.
Diana Hagmann-Bula
Soeben noch waren Jeans gefragt, deren Bund auf dem Bauchnabel sitzt, nun sollen Modische Latzhosen tragen. Und schon wächst der Stapel im Schrank um ein weiteres Modell. Laut einer Umfrage von "20 Minuten" besitzen gerade mal 3 Prozent der 28'605 Befragten nur eine Jeans. 43 Prozent geben an, zwei bis fünf solcher Hosen zu haben, 7 Prozent mehr als 20. In Unkosten stürzen sich Jeansfans trotzdem nicht. Eine Hose kostet mancherorts kaum mehr als das Mittagessen in einem einfachen Lokal.
Doch die Jeansschlacht hat ihren Preis. Ein NDR-Beitrag zeigte 2012 chinesische Arbeiter, die sandstrahlen – ohne Atemmaske und in einem Raum mit einer Lüftung, die ihren Namen nicht verdient. Eine Technik, die sich aufdrängt, weil der Markt Absurdes verlangt: Die neue Jeans soll gebraucht aussehen. Arbeiter atmen quarzhaltigen Feinstaub ein, erkranken, sterben an der unheilbaren Silikose. In einer anderen Szene bleicht ein junger Mann Hosen mit Kaliumpermanganat. Die Chemikalie ist hochgiftig, belastet die Gewässer rund um die Fabriken. Jeansmachen ist ein Hochrisikoberuf. Die Entschädigung dafür: ein Hungerlohn und eine schäbige Unterkunft.
Es gibt weitere Aspekte, die einem die Freude an Jeans verderben. Etwa dieser: Der einst natürliche Farbstoff Indigo setzt sich heute aus Erdöl und Chemie zusammen, kommt laut "The Guardian" in 90 Prozent der aus China importierten Hosen vor. Das Land produziert gemäss UNO-Statistik am meisten Jeans, vor Pakistan, der Türkei, Indien, den USA, Italien oder Mexiko.
"Dabei wäre die Jeans ein dauerhaftes, wertvolles Produkt", sagt Tobias Meier von der Basler Nachhaltigkeits-Beratungsfirma Ecos. Doch die Geldgier der Modefirmen und der Konsumwahn hätten daraus "einen der schädlichsten Artikel gemacht, was chemische Prozesse, Arbeitsbedingungen und Rohmaterialverbrauch angeht". Aufwendige Waschverfahren erst lassen die Jeans gebraucht aussehen, spülen Chemikalien aus, machen die Hose weich, die hauptsächlich aus Baumwolle besteht. Die Pflanze braucht ebenfalls viel Wasser, um zu gedeihen. "10'000 Liter Wasser sind nötig, um eine Jeans herzustellen", sagt Meier. In Indien und China seien bis zu 90 Prozent der Baumwollpflanzen gentechnisch verändert – damit sie Schädlingen besser widerstehen. "11 Prozent aller Pestizide weltweit werden auf Baumwollfeldern eingesetzt." Bio-Baumwolle laute die Lösung der meisten dieser Probleme. "Alle grossen Firmen haben unterdessen solche Modelle im Angebot. Man hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann." Schmutziger als die Modebranche sei nur die Erdölindustrie.
Die entwicklungspolitische Organisation Public Eye dagegen stellt "kein grosses Aufräumen" fest. "Immerhin gibt es einige Firmen, die sich verbessern", sagt David Hachfeld, kritisiert aber, dass Labels sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben würden, wenn sie nur winzige Verbesserungen im ökologischen Bereich einführten. "Dort lassen sich schneller Fortschritte erzielen als im Sozialen." Der "Mainstream der Firmen" zahle nach wie vor Niedrigstlöhne. Das bedeutet laut Hachfeld für eine Näherin in Bangladesch: 70 Franken pro Monat für bis zu 14 Stunden Arbeit sechs Tage die Woche.
Mark Starmanns vom Netzwerk Faire Mode trägt ein Öko-Modell, jahrelang das gleiche, wenn möglich. Eine Verpflichtung, wenn man Herausgeber des "Good Jeans Guide" ist und Marken empfiehlt, welche die schmutzige Branche verbessern wollen. Kuyichi, Kings of Indigo, Hess Natur und Nudie stehen auf Starmanns Liste. In den letzten fünf bis zehn Jahren hätten Firmen versucht, ihre Lieferketten zu verstehen. Grossen Betrieben falle der Überblick noch immer schwer, "bei all den Lieferanten und Sub-Lieferanten nicht verwunderlich". Die aufgeführten Marken würden jedoch "wissen, wo und wie sie herstellen". Sie setzen meist Bio-Baumwolle ein, sind Gots-zertifiziert – ein Label, das garantiert, dass keine giftigen Chemikalien im Spiel sind.
Starmanns rät den Konsumenten, Jeans "ein zweites und drittes Leben zu schenken, indem sie sie flicken lassen". Die Marke Nudie etwa betreibt in Zürich einen Repair-Shop. Oder man least Jeans: Der Kunde bezahlt bei Mud Jeans 7.50 Euro monatlich und entscheidet nach einem Jahr, ob er die Hose behält oder sie gegen eine neue austauscht. Die Firma recycelt das alte Paar. Ganz geht der Kreislauf aber noch nicht auf: Da die Fasern beim Wiederverwerten kürzer werden, könne man aktuell nur 20 Prozent recycelte Baumwolle beimischen, der Rest muss neues Material sein.
"Die Menschen müssen lieben, was sie kaufen, und vorsichtig mit der Welt umgehen", pflegt Toni Tonnaer zu sagen. Er hat 2011 in Amsterdam die Jeansmarke Kings of Indigo (KOI) gegründet. Wer sich im Internet durch das KOI-Angebot klickt, erfährt, wo hergestellt wird, mit welcher Methode: "78% Biobaumwolle, 15% recycelte Baumwolle, 5% Elastomultiester, 2% Elasthan. Stoff aus der Türkei, Calik. Eingetragener Look durch Laser. Eco Stonewash. Eco Spray. Gewaschen bei Interwashing, Tunesien", lautet der Steckbrief einer Slim-Fit-Hose.
Statt nur synthetischen Indigo zu verwenden, bespraye die Marke Hosen mit Harzen, sagt Mirco Marzola von der Glattbrugger Firma Hifi Brand. Er vertreibt KOI in der Schweiz. "Weil wir nicht zur Wolle-Bast-Fraktion gehören, kommen wir nicht ganz ohne Sandstrahlen aus." Zwar führt Marzola fast unbehandelte Hosen, sogenannte Selvedge Jeans, in der Kollektion, doch der Used-Look verkaufe sich besser. Um den verbleichten Effekt zu erzielen, wende KOI so oft wie möglich die schonendere Lasertechnik an. Und wasche mit Ozon, um Wasser zu sparen. "Wir sind Mitglied der Fair Wear Foundation. Der Arbeitsschutz ist garantiert."
Obwohl noch nicht am Ziel: Marzola hat aufgehört zu erziehen. "Ich will nicht, dass Menschen unsere Hosen kaufen, als würden sie fürs Rote Kreuz spenden." Er fordert: Überzeugung und Verhaltensänderung.