Jedes Jahr nähern sich neue Bücher dem alten Kulturgut Wein an. Das kann auf verschiedene Arten geschehen. Diese zwei könnten unterschiedlicher kaum sein: «Captain Cork» erzählt süffig und unverkrampft Geschichten, «Wein» ist ein fast unerschöpfliches Nachschlagewerk mit 25 Seiten Stichwortregister.
Beginnen wir hinten, mit einem Blindtest quasi, Stichwort Gamay. Das Register in «Captain Cork» verweist auf Seite 20. Dort wird von Philipp dem Kühnen (1363–1404) erzählt, der den Wein als Burgunder Exportartikel fördern wollte und die in der Region dominierende rote Sorte Gamay verbot. Denn die stand für die Formel «Masse statt Klasse». Philipps Verteufelung setzt ihr bis heute zu, sie ist selten geworden. «Neben vielen Kopfwehweinen», schreibt «Captain Cork», «gibt es allerdings ein paar Erzeuger, die aus der immer noch sehr einsilbigen Traube ganz trinkbare Tropfen keltern.»
Das Register in André Dominés «Wein» verweist unter dem Stichwort Gamay auf dreissig Buchstellen. Im Kapitel «Die wichtigsten Rotweinsorten» erfährt der Leser, dass der Gamay seinen Ruhm dem Beaujolais verdanke und dass man mit einer Maischegärung «Weine mit einem sehr interessanten Alterungspotenzial» erhalte. Ausser im Beaujolais habe der Gamay jedoch nur an der Loire, in der Ardèche und in der Schweiz nachhaltig Fuss fassen können.
Auf Seite 66 wird Gamay als guter Rohstoff für Roséweine aufgelistet. Im Kapitel «Die französischen Weinregionen» taucht er auf Seite 154 auf. Zwischen dem weiten Tal der Saône und den Monts du Beaujolais finde die Sorte auf Granit- oder Mergelböden ihr absolut ideales Terroir. Sie zwinge die Winzer allerdings, völlig anders zu schneiden, als es ihre burgundischen Nachbarn mit ihrem Pinot noir täten.
Und so führt die Spur des Gamay durch das ganze Buch, der Leser kreuzt sie im Kapitel «Burgund», begegnet ihr auf Seite 282 in Savoyen wieder, auf Seite 347 im Aostatal, dann unter anderem auf Seite 540 in Genf, auf Seite 753 in der Türkei und schliesslich auf Seite 812 im Osten der USA.
Man sieht also: Das sind zwei sehr eigenständige Arten, sich mit Wein zu befassen – was sinnvoll ist angesichts der Fülle von Weinbüchern. Das Buch «Captain Cork», das sich als «das ultimativ andere Weinbuch» bezeichnet, nimmt unbefangene Leser auf eine Entdeckungsreise mit. Es erzählt Geschichten, etwa von den fünf wichtigsten Ereignissen im Weinbau (mit der Philipp-Episode), beleuchtet Weinmythen («Schon an der Farbe erkennt man, ob ein Rotwein gut ist»), stellt Weinregionen vor (die Schweiz bringt es auf eineinhalb Seiten) und erläutert die Herstellung und den richtigen Genuss von Weinen.
Es ist eine muntere, unverkrampfte Annäherung an das alte Kulturgut, eine süffige und durchaus informative Lektüre, die gespickt ist mit pfiffigen Fotos, welche die Menschen hinter den Weinen zeigen.
André Dominés in aktualisierter und erweiterter Ausgabe neu aufgelegtes Buch «Wein» ist dagegen das klassische Standardwerk. Schon sein Umfang von 944 Seiten signalisiert: Ich bin nicht primär ein Lesebuch. «Wein» ist ein Nachschlagewerk mit 25 Seiten Stichwortregister und 150 Karten. Die Schweiz bekommt 13 A4-Seiten mit detaillierten Kellerei-Porträts. Auch hier runden Fotos von Landschaften und Menschen die Informationen ab. Wer dieses Buch im Regal hat, kommt in Sachen Wein nicht so schnell in Verlegenheit – und er findet rasch, wonach er sucht.