Zu hohes Tempo nicht bemerkt

Ein deutscher Arzt wurde zwischen Wigoltingen und Müllheim mit 117 statt 80 Stundenkilometern gestoppt. Er ist überzeugt, er sei mit korrektem Tempo gefahren. Der Verteidiger zweifelt die Rechtmässigkeit der Messung an. Das Gericht Weinfelden spricht den Mann schuldig.

Ida Sandl
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Dienstchef Marcel Rupper justiert ein Handlaser-Gerät der Kantonspolizei Thurgau – es ist regelmässig im Einsatz. (Bild: Reto Martin)

Dienstchef Marcel Rupper justiert ein Handlaser-Gerät der Kantonspolizei Thurgau – es ist regelmässig im Einsatz. (Bild: Reto Martin)

WEINFELDEN. Die Strasse war leicht abschüssig, sein Auto schnell: ein BMW. Als der Polizist ihn stoppte, fiel er aus allen Wolken. 117 Stundenkilometer hatte der Laser gemessen, erlaubt waren 80. «Es kann nicht sein», sagt der Mann den Richtern in Weinfelden. Er ist Arzt, 56 Jahre alt, Deutscher und wohnt in der Innerschweiz. Vor Gericht erscheint er in Jeans und Pullover. An jenem Nachmittag im Juni 2013, als der Laserstrahl zwischen Wigoltingen und Müllheim sein Auto traf, war er auf dem Rückweg vom Bodensee. Er habe sich Immobilien angesehen. «Ich hatte kein Eile.» Seit 39 Jahre fahre er unfallfrei, habe sich noch nie eines Verkehrsdelikts schuldig gemacht.

Er will es nicht glauben

Jetzt wird ihm grobe Verletzung der Verkehrsregeln vorgeworfen. Es wirkt, als könne er das nicht recht glauben. Deshalb hat er den Strafbefehl angefochten und deshalb hat sein Verteidiger ein Gutachten verlangt und diverse Beweisanträge gestellt.

Der Gutachter des Metrologischen Instituts hat die Messung anhand der Videobilder – 25 Fotos pro Sekunde – nachgerechnet. Einmal kam er auf 113 Stundenkilometer, dann gar auf 119. Es gebe keine erheblichen Zweifel an der Messung, sagt Gerichtspräsident Pascal Schmid.

Der Verteidiger lässt nichts unversucht, um die Anklage zu entkräften: Die Videoaufnahmen seien rechtswidrig und dürften gar nicht bewertet werden. Die Tempokontrolle sei eine «verdachtsunabhängige Überwachung des öffentlichen Verkehrs per Video» gewesen. So etwas sei nur erlaubt, wenn es einen konkreten Anfangsverdacht gebe. Freispruch beantragt der Verteidiger. Und falls überhaupt, dann habe sich sein Mandant höchstens einer einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gemacht. Offensichtlich sei ja niemand gefährdet worden. Seinem Mandanten sei ja nicht einmal bewusst gewesen, dass er zu schnell gefahren sei. Ausserdem sei hinter dem BMW ein Auto dicht aufgefahren. «Ein Bremsmanöver wäre wohl gefährlicher gewesen.»

Das Bezirksgericht zerpflückt die Einwände. Es handle sich nicht um eine Überwachung des öffentlichen Raumes, sondern um eine Geschwindigkeitskontrolle durch die Polizei vor Ort, stellt Schmid klar. Problematisch wäre höchstens eine automatisierte Videoaufzeichnung ohne Anfangsverdacht. Das Lasergerät sei aber von einem Polizisten bedient worden. Das Video sei nur eine zusätzliche Unterstützung der Messung.

Urteil: grobe Verletzung der Verkehrsregeln. «Wenn jemand ausserorts 30 km/h oder mehr zu schnell fährt, liegt grobe Fahrlässigkeit vor, sprechen nicht besondere Umstände dagegen», sagt der Gerichtspräsident. Dass sich der Beschuldigte seines Tempos nicht bewusst war, sei kein Rechtfertigungsgrund. Besondere Umstände seien keine ersichtlich. Wer ein schnelles Auto fahre, müsse erst recht aufpassen, habe das Bundesgericht ausdrücklich festgehalten. Ausserdem sei die Strasse leicht kurvig und hügelig und es seien Autos entgegengekommen.

75 000 Franken Strafe und Busse

Das Gericht folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft: eine bedingte Geldstrafe von 65 000 Franken, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Dazu 10 000 Franken Busse. Im Vergleich dazu wirken die Gerichts- und Untersuchungskosten mit rund 8419 Franken recht bescheiden.

Die hohe Busse und Strafe erklärt sich aus den finanziellen Verhältnissen des Beschuldigten. Sein steuerbares Vermögen liegt bei 24 Millionen Franken und seine steuerbaren Einkünfte bei 1,2 Millionen Franken. Schmid sagt: «Angesichts der äusserst günstigen finanziellen Situation des Beschuldigten ist die Strafe angemessen.»