«Wir sind enttäuscht»: Gewerkschaften geht der neue Normalarbeitsvertrag für Care-Migrantinnen im Kanton St.Gallen nicht weit genug

Gewerkschaften hatten eine Arbeitszeit von maximal 44 Stunden pro Woche gefordert. Der Kanton legt sie auf maximal 50 Wochenstunden fest. Es ist ein Kritikpunkt von mehreren, die am neuen Normalarbeitsvertrag Hauswirtschaft laut werden. Ab 1. Juli gelten neue Regeln für Pausen, Reisekosten und Präsenzzeiten für Care-Migrantinnen.

Katharina Brenner
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Der überarbeitete Normalarbeitsvertrag bringt unter anderem verbesserte Regelungen für die Pausen.

Der überarbeitete Normalarbeitsvertrag bringt unter anderem verbesserte Regelungen für die Pausen.

Symbolbild: Chris Iseli/Az / THE

Ab 1. Juli sollen sich die Arbeitsbedingungen von Care-Migrantinnen im Kanton St.Gallen verbessern. Dann tritt der überarbeitete Normalarbeitsvertrag (NAV) in Kraft. Seit 1986 war er unverändert geblieben. Im Kanton St.Gallen arbeiten schätzungsweise 600 Migrantinnen in ungefähr 300 Haushalten. Sie betreuen meist pflegebedürftige Senioren. Werden sie direkt von den Familien angestellt, gilt das Arbeitsgesetz nicht. Diese Anstellungen sind in NAV geregelt.

Dem kantonalen Gewerkschaftsbund gehe der revidierte NAV nicht weit genug, sagt Präsidentin Barbara Gysi. Sie nennt den Vertrag einen «Papiertiger», es könnten abweichende schriftliche Vereinbarungen getroffen werden.

Maximale Arbeitszeit von 50 Stunden pro Woche

Barbara Gysi, Präsidentin St.Galler Gewerkschaftsbund

Barbara Gysi, Präsidentin St.Galler Gewerkschaftsbund

Bild: Alessandro Della Valle / KEYSTONE

Die Unia vertritt die Meinung, dass hauswirtschaftliche Verhältnisse sowie die 24-Stunden-Betreuung dem Arbeitsgesetz unterstellt sein sollten. «Ein NAV reicht unseres Erachtens nicht aus, um den Schutz der Angestellten zu garantieren», lässt die Gewerkschaft wissen. Barbara Gysi sagt:

«Wir sind enttäuscht, dass unsere Vorschläge nicht aufgenommen wurden.»

Der Gewerkschaftsbund hatte eine maximale Wochenarbeitszeit von 44 Stunden gefordert, der Kanton setzt die Grenze bei 50 Stunden. Der Gewerkschaftsbund forderte zudem eine Mindestausstattung des privaten Zimmers.

Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin der Ostschweizer SBK-Sektion

Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin der Ostschweizer SBK-Sektion

Bild: Reto Martin

«Ein abschliessbares Einzelzimmer (circa 12 Quadratmeter) mit Tageslicht und ausreichender Möblierung» sah auch der Berufsverband Pflege (SBK) vor sowie 16 Wochen Mutterschaftsurlaub. Beides taucht im NAV nicht auf. «Grundsätzlich sind wir froh, dass vor allem für die Care-Migrantinnen endlich klarere Arbeitsbedingungen bestehen. Wir haben aber weitergehende Regelungen gefordert, die kaum eingeflossen sind», sagt Edith Wohlfender, Geschäftsleiterin der Ostschweizer SBK-Sektion.

Reisekosten werden entschädigt

Andrea Hornstein, Geschäftsführerin Spitex St.Gallen Ost

Andrea Hornstein, Geschäftsführerin Spitex St.Gallen Ost

Bild: Hanspeter Schiess

Positiv äussert sich Andrea Hornstein, Geschäftsleiterin Spitex St.Gallen-Ost. Nun sei deklariert, was Arbeits- und was Präsenzzeit ist. Je Einsatztag werden neu wenigstens sieben Stunden Arbeitszeit angerechnet. Hornstein hebt auch die Pausenregelung und die neue Reisekostenentschädigung lobend hervor. Diese gilt «für die notwendigen An- und Rückreisen der Arbeitnehmenden zwischen Wohn- und Einsatzort». Fraglich bleibt für Hornstein allerdings die Kontrolle in Privathaushalten. Karin Jung, Leiterin Amt für Wirtschaft und Arbeit, sagt, ihr Amt gehe Hinweisen nach und führe Stichproben durch.

In ihrer Mitteilung von Donnerstag schreibt die Staatskanzlei, sie habe den Modelvertrag Bundes geprüft und sich schliesslich für eine eigene Lösung entschieden, «die punktuell über die Vorschläge des Seco hinausgeht». So gilt der St.Galler NAV nicht nur bei der Betreuung gebrechlicher Personen, sondern auch bei der Kinderbetreuung.

Vor bald zwei Jahren hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) einen Mustervertrag erarbeitet, da die Arbeitsbedingungen trotz NAV häufig prekär sind. Dieser Vertrag ist nicht verbindlich; der Bund erwartet aber, dass die Kantone ihre Verträge entsprechend anpassen. Dies hätte bereits bis zum Sommer 2019 erfolgen sollen. Gewerkschaftsbund und SP kritisierten die Verzögerung. Der damalige Volkswirtschaftsdirektor Bruno Damann bat im Herbst um Verständnis (unsere Zeitung berichtete). Trotz aller Kritik ist Gysi daher froh, «dass der NAV nun endlich kommt».