Eine Bahnfahrt von St. Gallen nach Zürich sollte eine beruhigende Fahrt sein, wenn sie ausserhalb der Stosszeiten stattfindet. Das Ticket von St. Gallen-Winkeln bis in die grösste Schweizer Stadt ist online gelöst worden – denn das eigene Ostwind-Abo ist ein gültiges Ticket bis Winkeln.
Eine Bahnfahrt von St. Gallen nach Zürich sollte eine beruhigende Fahrt sein, wenn sie ausserhalb der Stosszeiten stattfindet. Das Ticket von St. Gallen-Winkeln bis in die grösste Schweizer Stadt ist online gelöst worden – denn das eigene Ostwind-Abo ist ein gültiges Ticket bis Winkeln. Also alles klar: Hinsetzen, iPod-Kopfhörer aufsetzen, Buch lesen, aussteigen.
So sähe der Idealfall aus. Doch kurz nach Gossau wird das Ticket kontrolliert. «Dieser Zug hält nicht in Winkeln», sagt die Kontrolleurin. Obwohl dies dem Fahrgast bekannt ist und sich der Sinn der Feststellung ihm völlig verschliesst, bleibt die Kontrolleurin stehen. Dieser zückt sein Ostwind-Abo und weist darauf hin, dass das ein gültiges Ticket bis Winkeln sei, seine Zone dort ende und das seine Richtigkeit haben müsse.
Alles andere wäre komplett absurd. Von dieser Logik unbeirrt, beharrt die Frau in Uniform darauf, dass das Ticket von Winkeln nach Zürich kein gültiges Ticket sei. Sie droht mit einer Busse, doch sie lässt «noch dieses eine Mal» davon ab.
Obwohl kein Meter der Bahnfahrt unbezahlt ist, haben Fahrgäste mit Ostwind laut der Kontrolleurin dieselbe Busse wie ein Schwarzfahrer zu befürchten. Wenn sie ein gültiges Ticket von St. Gallen nach Zürich wollen, dann müssen sie ein solches lösen und zahlen halt die Strecke zwischen St. Gallen und Winkeln doppelt. Das kostet ohne Halbtax-Abo drei Franken, mit Halbtax nur 2.40 Franken, und macht etwa zehn Prozent der Fahrkarte nach Zürich aus.
Wir fragen bei den SBB nach: «Wer von St. Gallen nach Zürich fährt, muss ein entsprechendes Billett lösen», sagt Reto Schärli, Mediensprecher der SBB. Auf einem Billett der SBB müssen sowohl Anfangs- und Endbahnhof der Reise gedruckt sein, sonst können Strafen fällig werden.
Die Gründe für diese merkwürdig anmutende Regelung sind in den Tarifbestimmungen der SBB zu finden: «Die Tarifbestimmungen stellen die Sachlage klar», sagt Schärli. Die Tarifbestimmungen umfassen 897 Seiten, deren Lektüre weit mehr Zeit in Anspruch nehmen würden als die Fahrt von St. Gallen nach Zürich. Artikel 36 befasst sich mit Anschlussbilletten und aneinander anschliessenden Fahrausweisen: «Für Anschlussbillette im Verkehr über die Verbundsgrenze gelten die Bestimmungen des Direkten Verkehrs T600 Ziffer 90.2.» Dort wiederum steht: «Zu Verbundsausweisen sind Anschlussfahrausweise des nationalen und internationalen Verkehrs ab oder nach dem letzten im Geltungsbereich des Verbundsausweises liegenden fahrplanmässigen Halteort auszugeben.»
Nach der Entschlüsselung dieses beamtendeutschen Satzes ist klar: Die Strecke von St. Gallen nach Winkeln kostet doppelt – mit einer Begründung, die nach jener Logik klingt, wie sie aus dem Militär bekannt ist: «Ist so, weil ist so. Bleibt so, weil war so.» Dominik Bärlocher