Die Windkraft soll im Jahr 2050 einen massiv höheren Anteil an Strom liefern als heute. Dafür braucht es Windstromanlagen, die es in der Ostschweiz heute noch nicht gibt. Dennoch ist der Widerstand gross, wie der Blick auf die Brennpunkte zeigt.
In Wuppenau laufen die Gegner schon seit zwei Jahren Sturm gegen die vier «Windkraft-Giganten», die dort – auf dem Hügelkamm zur Nachbargemeinde Braunau – in die Höhe wachsen sollen. Strittig ist vor allem der Minimalabstand zur Siedlung. Faktisch liegt allerdings erst eine Machbarkeitsstudie vor, die das Windpotenzial abschätzt. Dennoch wurden im 1100-Seelen-Dorf Wuppenau bereits mehrere Hundert Unterschriften gegen den Eintrag im Richtplan gesammelt. Opposition gibt es auch gegen die Windenergieanlagen auf dem Älpli zwischen Krinau und Libingen im Nachbarkanton St.Gallen. Bis zu 20 Gigawattstunden Strom könnten dort die Thurwerke mit den bis zu 150 Meter hohen Windmasten in unmittelbarer Nähe zum Naturschutzgebiet Hörnli-Bergland produzieren. Das sind fünf bis sechs Prozent des Toggenburger Stromverbrauchs pro Jahr. Der Verein «Gegen Wind Älpli» argumentiert, dass das Dorf Krinau im Inventar der schützenswerten Ortsbilder aufgeführt ist:
Er warnt vor der Landschaftszerstörung, der Unwirtschaftlichkeit der Anlage sowie vor dem Infraschall des geplanten Windkraftwerks.
Grosse Windräder sind im Landschaftsbild der Ostschweiz ungewohnt. Bisher gibt es lediglich Kleinwindanlagen mit einer Gesamthöhe von unter 30 Metern in Chürstein (Gäbris), Berg TG und Vilters. Das mag einen Teil des Bevölkerungswiderstands erklären. Auch im Appenzellerland liegen die windstärksten Gebiete und damit die potenziellen Standorte für die Gewinnung der Windenergie auf exponierten Hügeln und Kreten. Im November schob die Innerrhoder Standeskommission dem geplanten Windpark bei Oberegg den Riegel. Die Appenzeller Wind AG wollte hier zwei 200 Meter hohe Windräder bauen.
Das Pikante daran: Die Windkraftanlage Honegg-Oberfeld am St.Anton läge zwar auf Innerrhoder Boden, allerdings unmittelbar an der Kantonsgrenze. Im Juli hatte sich die Ausserrhoder Regierung gegen den Richtplan des Nachbarkantons ausgesprochen, unter anderem wegen der landschaftlich exponierten Lage. Aus Ausserrhoder Sicht überwiegen die Interessen am Landschaftsschutz diejenigen an der Windenergienutzung im Appenzellerland; in Ausserrhoden gibt es derzeit noch keine Windkraft-Planung. Abgelehnt wurde der Windkraft-Standort Honegg auch vom Kanton St.Gallen, vom Land Vorarlberg und der Ausserrhoder Gemeindepräsidenten-Konferenz.
Die Ostschweizer Kantone wollen trotz des schwierigen Umfelds ihren Teil zur Energiewende 2050 beitragen, indem sie Gebiete oder Standorte, wo der Wind stark und konstant bläst, im Richtplan festschreiben. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren sind aufwendig: Erst wenn ein Standort im Richtplan festgesetzt wurde, kann mit der Nutzungsplanung und Umweltverträglichkeitsprüfung begonnen werden. Und erst nach erfolgreichem Abschluss dieser Verfahren ist dann das Baugesuchsverfahren an der Reihe. In zahlreichen Fällen geraten Projekte aufgrund lokaler Opposition ins Stocken oder sie werden wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit zurückgezogen.
Im Kanton St.Gallen spielt die Windenergie bisher keine Rolle. Gemäss dem kantonalen Energiekonzept aus dem Jahr 2013 soll die Produktion von regionalem Strom aus Sonne, Biomasse, Wind und Geothermie jedoch bis 2020 um 385 Gigawattstunden pro Jahr auf 400 gesteigert werden. Der Kanton hat den Weg einer Negativplanung gewählt: Damit legt er fest, wo keine Windparks möglich sind – ein vom Bundesrat genehmigtes Vorgehen. Zwei Anlagen sind im genehmigten Richtplan enthalten, der Standort Schollberg als Zwischenergebnis (Vorhaben noch nicht abgestimmt), der Standort Tannenberg als Vororientierung (noch ohne abstimmungsreife oder generelle Vorstellungen). Während beim Schollberg noch verschiedene Abklärungen ausstehend sind, fehlt beim Tannenberg bisher der Nachweis der Eignung des Standorts.
Mit der Richtplan-Anpassung 2018 wurden zwei neue Standorte für Windparks zur Festsetzung vorgeschlagen. Sowohl der auf drei Anlagen ausgelegte Windpark Krinau in den Gemeinden Wattwil (Krinau) und Mosnang, als auch der Windpark Rheinau mit bis zu sechs Windrädern in den Gemeinden Sargans, Mels und Vilters-Wangs sind umstritten. Der Heimatschutz spricht bei Krinau von mächtigen Windrädern, die das Ortsbild stören würden. Und der Standort Rheinau liege in der Nähe eines Gebiets mit Brutvogelarten. Die SVP-Kantonsräte Walter Gartmann und Walter Freund kritisierten im Juni in einer Interpellation die einseitige Belastung der ländlichen Gebiete.
Die St.Galler Regierung wird Anfang 2019 entscheiden, ob die Standorte weiterverfolgt werden sollen. Keinen Einfluss hat sie auf das ebenfalls umstrittene Projekt Linthwind im glarnerischen Bilten in der Nähe von Schänis. Hier in der Linthebene wollte die St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (SAK) einen Windpark mit fünf Anlagen bauen. Das Projekt war bereits weit gediehen: Bis der Glarner Regierungsrat im November den Stecker zog und den Standort aus dem Richtplan strich. Das letzte Wort hat das Glarner Kantonsparlament.
Der Kanton Thurgau geht anders als der Kanton St.Gallen vor: Er hat in einer Positiv-Planung sechs Windenergiegebiete mit der jetzt aufliegenden Richtplan-Änderung definiert. Für die Gebiete Braunau/Wuppenau, Salen-Reutenen und Thundorf existiert eine Projektidee: Zu allen drei liegt eine Machbarkeitsstudie vor, ein konkretes Projekt mit Standorten, Anzahl Anlagen, Leistung, Nabenhöhe und Baubeginn gibt es noch nicht. Zum Vergleich: Zwischen der bestehenden Kleinwindanlage in Berg TG und einer der Grosswindanlagen liegt der Faktor 500.
In Appenzell Innerrhoden sind die Standorte Sollegg–Neuenalp–Klosterspitz in den Bezirken Appenzell und Schwende (5 bis 6 Anlagen), Ochsenhöhi im Bezirk Gonten (4 bis 5 Anlagen), Hirschberg–Brandegg im Bezirk Rüte (3 bis 4 Anlagen) und Honegg im Bezirk Oberegg (2 Anlagen) im Richtplan definiert. Ihre Ablehnung der Windkraftanlage am St. Anton (Honegg) begründete die Standeskommission mit der Unverträglichkeit mit dem Landschaftsbild. Im Rahmen des Einwendungsverfahrens waren rund 500 ablehnende Stellungnahmen eingegangen.
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat die Standorte Hochalp (Gemeinde Urnäsch), Hochhamm (Gais, Trogen) und Suruggen (Schönengrund, Urnäsch) im Richtplan aufgenommen. In diesen Gebieten könnten theoretisch 12 Prozent des Strombedarfs in Ausserrhoden mittels Windkraft produziert werden. Ab Juni 2013 wurden während 12 Monaten die Windverhältnisse auf der Hochalp gemessen: Eine Windstromanlage könnte schätzungsweise 2,7 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren – das ist mehr als der gesamte Stromverbrauch der 500-Seelen-Gemeinde Schönengrund.