Nach fünf Tagen auf und am Tanganjikasee verlässt der in Degersheim wohnhafte Journalist Michael Hug den Westen Tansanias und fährt nach Dar es Salaam zurück. Dies ist die vierte und letzte Folge seines Reiseberichts.
Nach fünf Tagen auf und am Tanganjikasee verlässt der in Degersheim wohnhafte Journalist Michael Hug den Westen Tansanias und fährt nach Dar es Salaam zurück. Dies ist die vierte und letzte Folge seines Reiseberichts.
Es raschelt und pfeift im Schilfdach meines Bungalows. Irgendwer scheint eine fröhliche Morgenparty zu feiern. Als ich blinzelnd vor die Hütte trete, macht sich eine Horde Affen davon. Von den Bäumen gucken sie neugierig auf den weissen Mann mit der Bettdecke um die Hüften, der sich jetzt nichts anderes wünscht, als einen heissen, schwarzen Kaffee. Zum Frühstück gäb's allenfalls «Tschai», heissen Tee mit kalter Milch, lacht Oscar, Gastgeber in der «Liemba Beach Lodge» in Kasanga. Ich lehne dankend ab. Nach drei Stunden Schreibarbeit am Laptop muss ich auch auf diesen verzichten. Kein Strom in der Lodge, Akku leer. Nun bleibt mir wirklich nichts mehr übrig, als endlich in diesen See, der mich seit fünf Tagen begleitet, zu springen. Ich nehme die Shampooflasche mit – denn mit Wasser in der Dusche klappt's auch nicht so richtig.
Vom südlichen Westen Tansanias in den Osten, zur Hauptstadt Dar es Salaam (arabisch «Haus des Friedens») am Stillen Ozean, gibt es erst mal kein anderes Verkehrsmittel als Busse. Diese fahren sehr früh am Morgen ab, um in der nächstgrösseren Stadt die Anschlüsse sicherzustellen. Im Süden verkehrt der Tazara-Zug, der die Grenzstadt Tunduma mit der Hauptstadt verbindet. Der Zug fährt noch eine ganze Strecke nach Sambia hinein, mitten in den «Cupperbelt», der Region von Sambias Kupferminen. Das fast 1900 Kilometer lange «Tansania-Zambia-Railroad» wurde 1976 als Exportroute – finanziert und gebaut von China, das die ursprüngliche Route über Südafrika umgehen wollte. Zweimal pro Woche verkehren auf der 1-Meter-Spur auch Personenzüge. Ich steige im Städtchen Mbeya zu, etwa auf halber Strecke. 24 Stunden soll der Trip dauern, verheisst man mir am Ticketschalter – 32 Stunden dauert er schliesslich. Dafür kostet das Billett im «Superseater» (Flugzeugsitzabteil) nur gerade 36 000 TSh (ca. 20 Franken).
Reisen in Afrika bedeutet in erster Linie sitzen. In zweiter Linie Geduld üben. Und drittens: Vor Überraschungen jeglicher Art keine Angst haben. Überraschend ist, dass der Zug in der ersten Nacht noch keine 150 Kilometer geschafft hat. Doch der erste Teil ist der steilste und kurvenreichste. Der Zug fährt so langsam, dass man vorne hätte rausspringen, eine Weile mitrennen und hinten wieder aufspringen können. Dafür entschädigt die Gegend mit satten Urwäldern und weiten Savannen. Immer wieder taucht eine aus dem Busch auf, ohne Anbindung an irgendeine Strasse. Einheimische bestellen ihrer Felder, Kinder winken, magere Rinder stehen im hohen Gras, Rauch steigt auf von den Feuerstellen. Wäre hier kein Zug, für den hie und da auch ein Bahnhof gebaut wurde, wäre nichts «Zivilisatorisches». Doch die Bewohner haben ohnehin kein Geld für den Zug – sie leben von Selbstversorgung.
Später, im Feuchtgebiet des «Kilomero Valley», verstärken sich die Zeichen der Zivilisation. Kinder und Frauen warten auf den einfahrenden Zug. Nicht weil sie mitfahren möchten – sondern weil sie etwas verkaufen wollen. Am Zugfenster wird der Deal gemacht: 300 Shilling für drei Mangos, 500 Shilling für eine Flasche Wasser, auch Kekse, Nüsse und Bananen sind im Angebot, grüne oder schon fast schwarze. «Mzungu» (Bleichgesichter), also ich, zahlen meistens mehr, weil plötzlich kein Wechselgeld mehr da ist. Doch was will man meckern bei diesen Preisen. Mein Sitznachbar kauft sich einen ganzen Strunk prächtiger Bananen, mindestens 30 Stück, Preis: 2500 Shilling (1.40 Franken). Am Mittag bieten die fliegenden Händlerinnen auch Gekochtes an, Hühnchen oder Rindfleisch, dazu Reis oder Ugali (Mais). Das im Plastiksäckchen portionierte Menu wird durchs Fenster gereicht, mit Fingern gegessen und der Abfall aus dem Fenster geschmissen. Nicht, dass man im Zug verhungern würde: Es gibt zwei Speisewagen, doch der Preis «über die Gasse» ist ein Vielfaches tiefer, die Qualität der Speisen dieselbe.
Am Nachmittag streift der Zug die «Selous Game Reserve» (Selous-Wildreservat). Grossflächig niedergetretenes Gras deutet auf Elefanten hin. Leider sehe ich keine. Nur Knochen liegen da und dort herum. Dafür fällt mein Blick auf Flusspferde, auf Geier, Gnus oder Störche. Und auf illegale Cannabisplantagen. Die Samen scheinen reif zu sein – entspannender Duft weht durch den Zug. Die Ankunft in Dar es Salaam gegen Mitternacht erlöst den längst schmerzenden Hintern. Noch einmal gibt's ein Gestürm, man lässt uns nicht aus der Bahnhofshalle, ohne das Ticket vorgewiesen zu haben. Und schon werde ich von übereifrigen Trägern, Schleppern und Taxifahrern umzingelt. Jeder meint es gut mit dem (zahlenden) «Mzungu». Einer hat schliesslich Glück und darf mich ins Zentrum von Dar es Salaam, dem «Haus des Friedens», fahren.
Vortrag mit dem Autor: Fr 28.3., Degersheim, Werkstatt Dorfplatz der Stiftung Säntisblick; Mi 23.4., Kirchberg, Eintracht. Jeweils um 20 Uhr. Weitere Infos: michlmichl.ch