Nicht nur Menschen suchen den Dialog, sondern auch die Psychiatrie. Und so lud die Psychiatrie St. Gallen Nord am Samstag die Bevölkerung anlässlich ihres 125-Jahr-Jubiläums zum geselligen «Gespräch» ein.
Christof Lampart
Ziele der modernen Psychiatrie sind die Wiedererlangung der psychischen Stabilität, die Verbesserung der beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit und die Erhaltung der Lebensfreude der Patientinnen und Patienten. Gerade letzterer Punkt traf am Samstag auf das bunte Geschehen auf dem Klinikareal zu.
Was in der Eventhalle und im Gutsbetrieb geschah, regte die Besucher, welche trotz Dauerregens zu Hunderten kamen, zuerst zu staunenden, ja träumerischen (Ein-)Blicken und dann zu Diskussionen mit alten Freunden und zufälligen Bekanntschaften an. Denn die im Gutsbetrieb temporär angesiedelte, multinationale Kunstausstellung «TransUtopia» zeigte, dass in den letzten 125 Jahren in der Psychiatrie praktisch kein Stein auf dem anderen geblieben ist, führte doch die Entwicklung weg vom einstigen «Asyl der Unheilbaren und Altersschwachen», als welches das «Asyl in Wyl» 1892 eingeweiht worden ist, hin zum modernen Dienstleister für Menschen, die im geschützten Rahmen ihre psychische Gesundheit weitestmöglich wiedererlangen sollen.
Während jedoch die Geschichte der Psychiatrie prinzipiell jedem zugänglich ist, sind es die Visionen der Patienten oft nicht. Am Samstag war dies für einmal anders. Denn «TransUtopia» bewies im abgedunkelten Raum, dass die Psychiatrie St. Gallen Nord den Wandel von der «Hölle auf Erden» zum kreativen Zukunftslabor erfolgreich hinter sich gebracht hat. Ja, hier wurde die Utopie einer positiven Welt in ein vielschichtiges Kunsterlebnis, das von Künstlern mit psychischer Erkrankung unter der Mitwirkung von Studierenden an Kunsthochschulen erschaffen wurde, facettenreich heraufbeschworen. So tauchten die Besucher in glitzernde, schemenhafte, dann aber auch grell beleuchtete «Visionen» ein, in der unter anderem eine futuristische Modeschau abgehalten wurde, komische Tiere ganz natürlich den Planeten bevölkerten und das Normale wahnsinnig und der Wahnsinn normal wirkte. Und auf einmal bemerkte man, inmitten dieser ebenso bunten wie wilden Bilderabfolge stehend, verblüfft, dass sich die scharfen Grenzen dessen, was als gesund und was als krank zu gelten hat, in der eigenen Wahrnehmung zunehmend auflösten.
«TransUtopia» verdeutlicht, was Psychiatrie sein könnte. «Wir müssen als Gesellschaft mit psychischen Krankheiten viel offener umgehen. Wer psychisch krank ist, darf heute nicht mehr am Rande der Gesellschaft stehen, sondern soll sich in ihr bewegen und sich wohlfühlen. Deshalb haben wir ja heute die Bevölkerung zu uns eingeladen, um einander zu treffen und uns auszutauschen», erklärte der CEO der Psychiatrie St. Gallen Nord, Markus Merz.
Die Leiterin des Living Museums in Wil, Rose Ehemann, hiess ihrerseits die Besucherinnen und Besucher zum «Lustwandeln in Anderswelten» willkommen und erklärte, auf welcher Idee «TransUtopia» basiert. «Es geht hier darum, psychisch kranke Kunstschaffende weltweit in einem gemeinsamen Prozess zu verbinden und mit ihnen Zukunftsvisionen einer besseren und humaneren Welt zu entwickeln».