WIL: «Das ist lebensgefährlich»

Die Behindertenorganisation Inclusion Handicap hat Mängel am neuen Bombardier-Zug festgestellt und Beschwerde eingereicht. Der fast blinde Wiler Gerd Bingemann war in diesem Zug und übt harsche Kritik. Lieber würde er in 40 Jahre alten Wagen reisen.

Simon Dudle
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Die neuen FV-Dosto-Kompositionen von Bombardier sorgen für Unmut. Wann sie in Einsatz gelangen, steht wegen einer neuerlichen Beschwerde noch nicht fest. (Bild: Anthony Anex/Keystone)

Die neuen FV-Dosto-Kompositionen von Bombardier sorgen für Unmut. Wann sie in Einsatz gelangen, steht wegen einer neuerlichen Beschwerde noch nicht fest. (Bild: Anthony Anex/Keystone)

Simon Dudle

simon.dudle@wilerzeitung.ch

«Das ist lebensgefährlich und unverantwortlich.» Gerd Bingemann wählt deutliche Worte, wenn er über den neuen Doppelstöcker FV-Dosto spricht, der noch dieses Jahr in Einsatz gelangen soll. Diese Züge bilden künftig die grösste Flotte der SBB (siehe Zweittext). Gleich mehrere Mängel hat Bingemann festgestellt, welche das selbstständige Reisen für blinde und stark sehbehinderte Personen erschweren.

Ein Hauptkritikpunkt sind die Handläufe, welche die Treppe ins Oberdeck säumen. «Der Aussenhandlauf hört zwei Tritte vor dem unteren Ende auf und führt in den Türpfosten hinein. Die Treppen werden zu regelrechten Stolperfallen und sind ein grosses Sicherheitsproblem für Blinde», sagt Bingemann. Der Vorsitzende der Schweizer Fachkommission «Sehbehinderte im ÖV» ergänzt: «Wenn ich stürze und dann im Stress noch weitere Personen über mich fallen, gibt das ein Chaos.»

Die Tür piepst zu wenig laut

Zudem stört sich der Wiler daran, dass der so genannte Türfinder «viel zu leise» ist. Dabei handelt es sich um einen Piepston, welcher Blinden anzeigt, wo sich beim im Bahnhof stehenden Zug die Türen befinden. Ein solcher Ton ist dem geneigten Zugfahrer bekannt von den neueren Thurbo- und Frauenfeld-Wil-Bahn-Kompositionen. «Bei unserem Test des neuen Intercitys auf Gleis 18 am Zürcher Hauptbahnhof musste ich den Kopf sehr nahe an die Türe halten, um das Geräusch zu hören. Die Grundlautstärke hat sich nicht dem Geräuschpegel angepasst», bemängelt Bingemann.

Ferner habe ein sehender Kollege von ihm festgehalten, dass die Beleuchtung im neuen Zug mangelhaft sei. An mehreren Orten blende es, am stärksten im Spiegel auf dem WC. Zwischen den einzelnen Wagen gebe es beim Durchgang Unterschiede in der Höhe, so genannte Niveau-Differenzen. «Diese sind schlecht ausgeleuchtet und beim Test sind sogar sehende Leute gestolpert», sagt Bingemann. Damit noch nicht genug: Das tastbare Wegleitungssystem innerhalb des Zuges, welches blinden Personen eine wichtige Hilfe ist, sei noch nicht optimal. Zudem würde die Gepäckablage zu weit in den Gang des Wagens reichen. Das Fazit des Wilers nach dem Test fällt ernüchternd aus: «Dieser Intercity ist schlechter als der Vorgänger-Doppelstöcker, der zwischen St. Gallen und Genf verkehrt. Betreffend Nutzbarkeit ist es ein Rückschritt.»

SBB beantragt, die Beschwerde abzuweisen

Bingemann und der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen unterstützen deshalb eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht von Inclusion Handicup und setzen sich weiter dafür ein, dass die neuen Züge möglichst barrierenfrei verkehren. Laut Bingemann geht es nicht in erster Linie darum, den Testbetrieb der bereits erbauten Züge zu hindern. Sein Fokus richtet sich auf jene Züge, welche zwar bereits bestellt, aber noch nicht gebaut sind. «Es ist besser, wenn wir jetzt unsere Position deponieren, damit dann nicht nachträglich alles umgerüstet werden muss.» Obschon bereits einmal eine Beschwerde von einzelnen Behindertenverbänden abgeblitzt ist, gibt Bingemann diesem Einspruch eine gute Chance, um durchzukommen. Er hofft zudem auf den gesunden Menschenverstand von SBB und Bombardier.

Die SBB wird im Februar eine Antwort zu dieser Beschwerde einreichen und beantragen, sie abzuweisen. Die Typenskizze und das Pflichtenheft des Fahrzeuges seien als gesetzeskonform und nicht diskriminierend beurteilt worden, heisst es seitens der SBB. Da diese Antwort noch nicht eingereicht ist, wird derzeit auf weitere Ausführungen verzichtet, da die juristischen Fragen durch die gerichtlichen Instanzen vorgängig geklärt werden müssten. Offen ist, wenn die neuen Züge auf dem Schweizer Schienennetz verkehren.