Gemäss eines neuen Leitbilds des Stadtrates sollen sich künftig Menschen mit einer Behinderung in der Stadt besser bewegen können. Ein Stadtspaziergang mit Markus Böni, der seit zehn Jahren im Rollstuhl sitzt, zeigt, wo es noch Verbesserungen braucht.
Es ist kurz vor halb zehn am Morgen, um den Bahnhofplatz herrscht dichter Verkehr, die Leute suchen sich eilig ihren Weg über die Strasse. Unter ihnen ist Markus Böni. Er begibt sich in seinem Rollstuhl mit den roten Speichen auf Erkundungstour durch die Stadt, um festzustellen wie schwierig es für ihn ist, sich selbstständig in Wil zu bewegen. «Im Vergleich zu anderen Städten hat Wil bereits einiges für die Fortbewegung behinderter Menschen getan, etwa einen Stadtplan für Menschen mit einem Handicap erstellt», sagt der 49-Jährige, der zwar in Romanshorn lebt, früher jedoch in Wil gearbeitet hat und die Stadt daher kennt.
Trotzdem wird Böni auf seinem Weg auf einige Hindernisse treffen. Doch der Reihe nach: Vor kurzem verabschiedete der Stadtrat ein neues Leitbild für Menschen mit Behinderung. Damit will er die Probleme beseitigen, die sich zum Beispiel Menschen im Rollstuhl oder Sehbehinderten im öffentlichen Raum in ihrem Alltag stellen. Etwa eine Ampel, die nur wenige Sekunden auf grün steht oder ein zu hoher Randstein, der für Rollstuhlfahrer unüberwindbar ist. Erste Massnahmen will die Stadt in den kommenden vier Jahren umsetzen. Der Rundgang mit Markus Böni zeigt, dass in Wil in der Vergangenheit bereits einiges getan wurde. Trotzdem erwartet die Stadt noch Arbeit.
Vom Bahnhof bewegt sich Markus Böni Richtung Altstadt, die Obere Bahnhofstrasse hoch. Noch fällt ihm das Vorwärtskommen leicht, der Weg ist asphaltiert. «Pflastersteine in der Altstadt werden mir mehr Mühe bereiten», vermutet Böni. Von der Oberen Bahnhofstrasse ist er aber begeistert. «Hier schüttelt es mich überhaupt nicht durch.»
Markus Böni widmet sich auch beruflich dem Thema Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes für Menschen mit Behinderung: Er arbeitet als Projektleiter bei Pro Infirmis des Kantons St. Gallen. Ein Leitbild, wie es die Stadt Wil verabschiedet hat, wünscht er sich auch für andere Schweizer Städte.
Der Weg geht weiter: Der Aufgang in die Altstadt über die Marktgasse ist für den Rollstuhlfahrer zu steil und er glaubt zuerst, dass sein Ausflug ein vorzeitiges Ende findet. Suchend blickt er sich um. Dann sieht er einen kleinen Wegweiser mit einem Rollstuhl darauf, der ihm die Richtung um den Hügel herum zum Lift vor der St. Nikolaus Kirche weist. Böni ist positiv überrascht: «Solche Schilder finden sich nicht in vielen Städten, hier ist Wil vorbildlich.» Doch nun wird es ungemütlich: Der Weg um den Stadthügel herum ist mit alten Steinen gepflastert. Sobald Markus Böni losrollt, bleibt ein Vorderrad in den Spalten zwischen ihnen stecken. Nur mit grosser Anstrengung kommt er noch vorwärts. Damit er von den Schlägen – es schüttelt ihn nun richtig durch – keine Rückenschmerzen bekommt, fährt er auf den hinteren Rädern, die vorderen schweben in der Luft. Als er letztlich doch noch beim Lift ankommt, ist er ausser Atem.
Oben auf der Plattform vor der Kirche zeichnet sich Erleichterung sich auf seinem Gesicht ab. Die Steine am Boden sind nun grösser und liegen dicht aneinander. «Der Weg ist hier gut gemacht», sagt er. Dieser führt ihn weiter an der Kirche vorbei Richtung Hofplatz.
Bei den Parkplätzen vor dem Baronenhaus findet sich auch ein Behindertenparkplatz. Bönis geübter Blick erkennt sofort, dass dieser nicht ideal liegt. Die Strasse führt bergauf und das Parkfeld ist so schräg, dass Rollstuhlgänger nur schwer oder gar nicht aus dem Auto steigen können. «Auf der anderen Strassenseite sind die Parkfelder viel flacher», sagt Böni, «dort wäre ein Parkplatz für Behinderte viel besser gewesen.» Der Hofplatz selber sei dagegen sehr behindertengerecht.
Markus Böni rollt nun durchs Stadttor. Hier ist es steil und unübersichtlich. Für ihn ist das besonders gefährlich, da er im Sitzen nicht so weit sieht, wie jemand der steht. An der Kreuzung, an der er eigentlich in die Hofbergstrasse Richtung Weier abbiegen will, hält er inne. Er ist unsicher, wo er die Strasse überqueren soll.
Der Fussgängerstreifen, den er wählt, erweist sich als der Falsche. Ungefähr in dessen Mitte stellt Böni fest, dass er auf der anderen Seite keine Chance hat, auf das Trottoir zu gelangen, da der Randstein viel zu hoch ist – und ist gezwungen, auf der Strasse um die Ecke zu biegen. Erst als er sich wieder auf dem Gehsteig der Hofbergstrasse befindet kann er aufatmen. Doch schon bald folgt die nächste Schwierigkeit: Etwas weiter die Strasse hinunter, vor der städtischen Spielgruppe, weist der Rollstuhl-Wegweiser in die Richtung, aus der er kommt. Wo es für ihn weitergeht, ist nicht ersichtlich. Er entscheidet sich für den steilen, kleinen Weg, der oberhalb an der Spielgruppe vorbeiführt. Der Asphalt ist abgewetzt und das Strässchen so steil, dass er leicht ins Rutschen kommt. Doch alles geht gut, sein Rollstuhl kippt nicht um. Der restliche Weg zurück zum Bahnhof entlang dem Weier verläuft reibungslos.
Beim Bahnhof springt Böni aber etwas ins Auge: Die Busperrons sind viel zu niedrig. «Auch wenn der Fahrer den Boden herunterlässt, könnte ich niemals ohne seine Hilfe einsteigen», sagt er. Nun möchte der Rollstuhlfahrer noch prüfen, wie er im Bahnhof selber zurechtkommt. Er besteigt den Lift, der ihn hinab in die Ostunterführung bringt. Einmal unten, bleibt ihm jedoch kein anderer Weg als der zurück. Alle anderen Aufgänge weisen eine Treppe oder eine zu steile Rampe auf. «Alleine schaffe ich das nicht», sagt er. «Beim Lifteingang sollte vermerkt sein, dass Rollstuhlgängige die Westunterführung benutzen müssen.» Kurze Zeit später steht Böni bei der Westunterführung jedoch vor demselben Problem: Die Rampe zu den mittleren Gleisen ist zu steil. Er schafft es nicht, sich am Geländer hochzuziehen. Insgesamt bewertet er seinen Rundgang durch die Stadt aber positiv: «Ich konnte alles ohne fremde Hilfe bewältigen.»