Unterwegs mit Churchill: Stiftung erfüllt Wiler Jungen mit Behinderung einen langgehegten Traum

Das Leben von Luka Streck, der mit einer Gehirnfehlbildung zur Welt kam, dreht sich vor allem um eines: Züge. Sein grösster Wunsch war, einmal im Doppelpfeil «Churchill» zu fahren. Kurz vor Weihnachten erfüllte die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe seinen Wunsch.

Lara Wüest
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Luka Streck hat die Nacht vor der Reise kaum geschlafen, weil er so aufgeregt war. (Bilder: PD)

Luka Streck hat die Nacht vor der Reise kaum geschlafen, weil er so aufgeregt war. (Bilder: PD)

Als Luka in der Ferne die drei Vorderlichter des Zuges mit dem Namen «Churchill» näherkommen sieht, erstarrt er. Es ist kurz vor halb neun am Hauptbahnhof in Zürich. Fast ehrfürchtig, so erzählen seine Eltern später, schaut er dem roten Ungetüm zu, wie es in den Bahnhof Zürich einfährt. Der Zug ist zu seinem Namen gekommen, weil in ihm einst Winston Churchill durch die Schweiz reiste.

Von diesem Moment hat der 8-jährige Luka schon lange geträumt. Züge, vor allem die alten, sind seine Welt. Und diese Welt liegt ihm für einen Tag zu Füssen: Der rote Doppelpfeil fährt nur für ihn von Zürich nach Biel. Luka darf sogar hinters Steuer – allerdings nur, als der Zug stillsteht. Noch am nächsten Tag schwingt Stolz in der Stimme des Knaben mit, wenn er von seiner Reise erzählt. «Es gab sogar eine Minibar», sagt er, dessen Haar fast so rot leuchtet wie der Zug, daheim am Stubentisch in Wil.

Hinters Steuer durfte Luka Streck nur, als der rote Doppelpfeil «Churchill» im Bahnhof auf dem Gleis stand.

Hinters Steuer durfte Luka Streck nur, als der rote Doppelpfeil «Churchill» im Bahnhof auf dem Gleis stand.

Begleitet wird der Knabe auf der Reise von seinem Zwillingsbruder, seinen Eltern und Angela Benovici. Sie sorgt dafür, dass alles reibungslos verläuft. Die Familie soll sich für einmal ganz entspannen können. Benovici arbeitet als Freiwillige für die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe (siehe Kasten). Diese erfüllt Wünsche von Kindern mit einer Behinderung oder schweren Krankheit. Kindern wie Luka.

Eine Fehlbildung mit vielen Fragezeichen

Die Familie hinter dem Steuer: Luka, Andrea, Christoph und Tristan Streck (v.l.).

Die Familie hinter dem Steuer: Luka, Andrea, Christoph und Tristan Streck (v.l.).

Luka kam, wie auch sein Zwillingsbruder Tristan, mit einer Balkenagenesie zur Welt. Sein Hirn hat sich nicht so entwickelt, wie es sollte, ihm fehlt die Verbindung zwischen der rechten und linken Hirnhälfte. Nur durch einen Zufall stellte ein Arzt die Fehlbildung kurz nach der Geburt in einem Ultraschall fest. Für die Eltern war es ein Fall ins Bodenlose. «Das Schlimmste war, dass wir nicht wussten, was alles auf uns zukommt», sagt der Vater Christoph Streck. Balkenagenesie ist heimtückisch, niemand weiss genau, was die Fehlbildung im Gehirn mit den Kindern macht. Einige weisen kaum Symptome auf, andere sind körperlich und geistig schwer beeinträchtigt.

Am Stubentisch in Wil blättert Luka in einem Buch über den roten Doppelpfeil, ein Geschenk, das er von seiner Reise mit nach Hause brachte. Er ist klein für seine acht Jahre, eine blaue Brille mit dicken Gläsern sitzt auf seiner Nase. Luka sieht schlecht. Lange befürchteten die Eltern, dass ihr Sohn erblinden könnte, eine Befürchtung, die sich aber nicht bewahrheiten sollte.

Tristan (links) und Luka kurz vor der Abfahrt in Zürich: Auf den ersten Blick verrät nur die Brille, wer wer ist.

Tristan (links) und Luka kurz vor der Abfahrt in Zürich: Auf den ersten Blick verrät nur die Brille, wer wer ist.

Die Fehlbildung äussert sich anders: Luka braucht länger als andere Kinder, um sich etwas zu merken, die Koordination seiner Bewegungen macht ihm mehr Mühe und er wächst nicht gleich schnell wie sie. Vor vier Jahren stellten Mediziner fest, dass Luka und Tristan kleinwüchsig sind. Womöglich hängt das mit ihrer Behinderung zusammen. Nun müssen die Eltern den Kindern täglich Wachstumshormone spritzen, ohne diese würden sie nicht grösser als 1,30 Meter. «Mit den Hormonen sollten sie aber zwischen 1,70 und 1,90 werden», sagt der Vater.
Nur im Sprechen ist Luka schnell, auch wenn er gerade etwas schüchtern und müde ist. Vor Aufregung hat er die Nacht vor dem Ausflug und die danach nämlich kaum geschlafen. Doch sobald die Sprache auf den roten Doppelpfeil Churchill kommt, sprudeln die Worte aus seinem Mund, die Augen leuchten. «Ich war bei der letzten Fahrt vor seinem 80. Geburtstag mit dabei», sagt er und meint damit den Zug, der 1939 erstmals an der Schweizer Landesaustellung einem breiten Publikum präsentiert wurde und nun die nächsten drei Monate in Biel gewartet werden muss.

Die Faszination für Züge begleitet Luka schon lange: «Sein erstes Wort», sagt die Mutter Andrea Streck, «war Gug.» Seither ist einige Zeit vergangen und Luka kann nicht nur das «Z» aussprechen, sondern auch lesen. Jeden Tag steckt er seine Nase mehrere Stunden in Bücher über Züge, betrachtet Fotos, verschlingt Worte. Eine Leidenschaft, die den Vater mit Stolz erfüllt: Auch er ist ein Zugfan.

Leben mit dem Unvorhergesehenen

Das Leben der Strecks ist eines mit der Ungewissheit: «Jeder ärztliche Untersuch kann wieder etwas Neues hervorbringen», sagt Andrea Streck. Der Alltag der Familie ist getaktet durch Arztbesuche und Therapien. Tristan und Luka besuchen die Sprachheilschule in St. Gallen. Eine Schule, die auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt ist, sie bietet neben dem Unterricht auch Ergotherapie, Psychotherapie, Logopädie oder Legasthenietherapie an. Zusätzlich stehen weitere Therapien und auch Arztbesuche auf dem Familientagesprogramm. Das ist anstrengend, Momente, in denen die Familie durchatmen kann, sind selten. «Deshalb war für uns der Ausflug mit dem Zug, bei dem alles für uns organisiert wurde, sehr wichtig», sagt Andrea Streck. «Fast noch wichtiger, als Weihnachten.»

Die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe

Die Stiftung Kinderhilfe Sternschnuppe mit Sitz in Zürich erfüllte jedes Jahr rund 180 Wünsche von Kindern mit einer Behinderung oder Krankheit. Heute, am 24. Dezember, feiert sie ihr 25-jähriges Bestehen. Alle Herzenswünsche, welche bei der Stiftung eingehen, versucht diese zu erfüllen. «Nur selten müssen wir einen Wunsch abschlagen, weil er nicht zu erfüllen ist», sagt die Co-Geschäftsleiterin Lucia Wohlgemuth. Eine Bedingung aber ist: «Es muss ein Erlebnis sein, und keine Sache.» (law). Hinweis: Mehr Informationen auf: www.sternschnuppe.ch