Vor 16 Jahren wanderte der Wiler Informatiker Raffael Marty nach Kalifornien aus. Jetzt leitet der 42-Jährige fünf Forschungsteams in verschiedenen Ländern. Im Interview spricht er über sein Leben in der IT-Szene.
Welches sind Ihre beruflichen Aufgaben?
Raffael Marty: Ich bin seit dem Studium im Bereich IT-Sicherheit unterwegs. Ich leite die Forschungsabteilung der Firma Forcepoint und habe fünf Teams rund um die Welt, die sich mit Internet-Angriffen, «Attack»-Methoden und den Verhaltensmustern von Computern und Menschen auseinandersetzen. Ein Grossteil meiner Arbeit hat mit Management zu tun. Der Teil der Arbeit, der aber Spass macht, ist mit den Forschern Ansätze zu diskutieren, wie wir mit künstlicher Intelligenz Verhaltensmuster erkennen können, um dann Abweichungen zu ermitteln, die auf Angreifer hinweisen.
Ihr beruflicher Werdegang?
Nach dem Informatik-Studium an der ETH habe ich versucht, in die USA auszuwandern. Da aber gerade die Wirtschaft zusammengefallen war (nach dem Platzen der Dotcomblase), war es fast unmöglich, in den USA einen Job zu finden und ich habe dann noch ein Jahr bei der Pricewaterhouse Coopers in der Schweiz als Berater gearbeitet. Nach etwa 150 Bewerbungsmails habe ich mit grossem Glück einen Job im Silicon Valley gefunden.
Wie waren Ihre ersten Eindrücke dort?
Mein erster Job hier war Ingenieur und Entwickler im Bereich Sicherheit. Es ging um die Analyse von Daten, um Angreifer zu detektieren. Als ich anfing, hatte die Firma 50 Mitarbeitende. Ich hatte damals keine Ahnung, auf was ich mich eingelassen hatte. Ich mochte meine Mitarbeiter und hatte das Gefühl, dass sie meine Sprache teilten. Der Job hat super Spass gemacht und ich hatte riesiges Glück, dass die Firma gewachsen ist und es sogar an die Börse geschafft hat. Ich bin aber kurz davor gegangen, um bei einem anderen Start-up unterzukommen. Da hatte ich wieder sehr viel Glück. Es war die gleiche Geschichte. Aber bei der Firma hat es mich nur eineinhalb Jahre gehalten.
Weswegen?
Der Reiz, eine eigene Firma zu starten, war zu gross. In San Francisco gehört dies fast zum normalen Leben. Es ist hier öfter der Fall, dass Leute eine Firma gründen.
Wie sind Sie gestartet?
Ich startete die Firma mit zwei Kollegen und wir haben den ganzen Wirbel mit Investition und anderem mitgemacht. Wir haben fünf Millionen Dollar von einem Investor gekriegt und haben 15 Leute eingestellt. Ich habe die Firma aber zwei Jahre nach der Gründung verlassen.
Wieso?
Mir hat die damalige Strategie nicht mehr zugesagt und ich habe mich entschieden, eine andere Firma zu gründen. Mit der zweiten Firma war ich für etwa vier Jahre mit Beratungsmandaten mit einigen der grössten Firmen der Welt unterwegs. Ich habe zum Beispiel Mercedes geholfen, deren Sicherheitszentrum zu bauen. Dann hat es mich jedoch wieder in eine grössere Firma reingezogen. Ich leitete die Abteilung für Sicherheit und Analyse für die Firma Sophos und bin dann vor einem Jahr von einem alten Kollegen aus Zürich an die Firma Forcepoint abgeworben worden.
Sie leben im Umfeld des legendären Silicon Valley, pflegen Sie dort Kontakte?
Ja. Technisch bin ich eigentlich nicht im Silicon Valley. Es breitet sich nur von San Jose nach Palo Alto aus, aber viele Leute nehmen dies nicht so genau und zählen San Francisco dazu. Vom Ursprungsgedanken her macht dies auch Sinn, sind doch heute zahlreiche Firmen hier in San Francisco präsent. Und selbstverständlich kennt man da auch viele Leute in diesen Firmen. Ich habe Kollegen, die bei Google, Facebook, Uber, Twitter oder sonst einer Tech-Firma sind. Es ist schon speziell, ich arbeite von zu Hause aus. Forcepoint hat hier in San Francisco kein Büro, und da gehe ich normalerweise inmitten meines Tages in den Coffeeshop, um weiter von dort zu arbeiten. Da sieht man Leute von all den Start-ups und auch von grösseren Firmen arbeiten. Es ist nicht unüblich, dass man mit den Leuten ins Gespräch kommt und sich sogar befreundet.
Wie ist Ihre Wohnsituation?
Ich wohne in einem Viertel von San Francisco, das Dogpatch heisst. Als ich vor elf Jahren hier meine Loft kaufte, war das noch eine raue Gegend, es hatte Warenlager und nicht viele Leute auf der Strasse. Das Viertel war aber nur fünf Minuten – heute sind es mit dem Verkehr mehr – von Downtown. Die Gegend hat sich sehr verändert. In den letzten Jahren sind hier einige Wohnblocks sowie etliche Büros aufgegangen. Heute habe ich einen Coffeeshop gerade nebenan, was vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre.
Wer sind Ihre Freunde und Arbeitskollegen?
Ich habe Kontakt zu einigen Schweizern und auch der Schweizer Botschaft hier. Wir organisieren ab und zu einen Stammtisch oder gehen Fondue essen. Der Rest sind Amerikaner und vereinzelte Europäer, Afrikaner oder Asiaten. Die Leute hier kommen von überallher, was es auch spannend macht, verschiedene Kulturen kennenzulernen.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Ich bin oft für die Firma auf Reisen und hänge da gerne einen Tag an, um etwas Sightseeing zu machen. Wenn ich in San Francisco bin, dann gehen wir öfters aus. Ballett, Wandern, ein Ausflug ins Weingebiet, gut essen. Ich versuche auch, mich genug zu bewegen. Vor neun Jahren habe ich angefangen, Zen Meditation zu praktizieren. Dies ergibt eine schöne Balance zum oft stressigen Alltag. Ansonsten bin ich immer gerne bei Abenteuern dabei. Ob das Tauchen ist oder ein Ausflug.
Haben Sie Heimweh? Was vermissen Sie aus der Schweiz und konkret aus Wil?
Ja, klar habe ich gelegentlich Heimweh. Ich vermisse meine Familie. 12 Stunden Flug sind schon eine grosse Distanz. Es ist interessant, je länger ich weg bin, desto mehr fallen mir kleine Dinge auf, die ich vermisse, etwa den Wiler Mandelfisch. Aromat brauche ich fast täglich zum Kochen. Und dann halt Momente wie einen Sommerabend am See mit einer St. Galler Bratwurst und einem Bürli. Wir haben hier auch gutes Brot, aber das schmeckt halt schon etwas anders.
Hinweis: Das Interview wurde schriftlich geführt.