Ivo Kassel ist am Ziel seiner Träume: «Den Olympia-Final im Damen-Doppel zu leiten, war ein absolutes Highlight», sagt der Schiedsrichter des Badmintonclubs Uzwil. Ob und wie es für den 44-Jährigen nun sportlich weitergeht, will er in den nächsten Monaten entscheiden.
Exakt 57 Minuten dauerte der Traum. Danach stand fest: Der Olympiasieg im Badminton-Damendoppel geht nach Indonesien. «Es war das absolute Highlight meiner Schiedsrichterlaufbahn», sagt Ivo Kassel kurz nach dem Spielende am Telefon. Obwohl die pandemiebedingten Einschränkungen – insbesondere die leeren Zuschauerränge – das emotionale Erlebnis geschmälert hätten.
Für den Elite-Schiedsrichter des Badmintonclubs Uzwil umso bedauerlicher, da er sich auf die Stimmung im Stadion, das Miteifern und Mitfiebern des Publikums, besonders gefreut hatte. Er begründet:
«In Asien hat der Badmintonsport eine vergleichbare Bedeutung wie der Fussball in Europa.»
Auch deshalb war ihm die Verpflichtung für Tokio so wichtig. Viel wichtiger, als dies ein Aufgebot für Brasilien im Jahr 2016 hätte sein können.
Doch nicht allein die Abwesenheit der Zuschauer machte den Unterschied: «Es fehlte jene Ambiance, welche die Bedeutung Olympischer Spiele fühlbar macht.» Ivo Kassel zieht den Vergleich zu London 2012, wo er, als Aufschlagrichter, den kleinen Final um die Bronzemedaille geleitet und hernach das persönliche Ziel «Olympiafinal» definiert hatte.
Die glanzvolle Eröffnungsfeier im Olympiastadion, die Teilnahme an der Schlussfeier, die Möglichkeit, andere Sportwettbewerbe zu verfolgen und das kollektive Erleben zu geniessen – all das ist ihm von London nachhaltig in Erinnerung geblieben.
Jetzt sind seine Koffer bereits wieder gepackt. Morgen früh geht es via Singapur zurück in die Schweiz. Und dann mehr oder weniger direkt ins Büro – Jetlag hin oder her. «Da ist noch der Monatsabschluss zu erstellen», sagt der Geschäftsleiter eines St.Galler Verpackungsunternehmens.
Der 44-Jährige zählt zu den weltweit besten Badminton-Schiedsrichtern, war als einziger Schweizer in dieser Funktion in Japan im Einsatz. Doch er übt diese Tätigkeit nebenberuflich aus. «Als Hobby», wie er sagt. Wie ist das auf diesem Niveau möglich? Ein wichtiger Faktor sei die Erfahrung, sagt der Bronschhofer, der heute in Mörschwil lebt. «Aber auch das Gefühl für das Spiel.» Entsprechend wichtig seien regelmässige Einsätze. «Im Februar dieses Jahres durfte ich ein internationales Turnier in Thailand leiten und stand dann an den Swiss Open in Basel im Einsatz. Das war wichtig, nach der Flaute im Vorjahr.»
Nervös war er vor den über zehn Einsätzen in Tokio und dem gestrigen Damen-Final im Doppel gleichwohl. «Das ist gut so, denn das Kribbeln zeigt mir, dass ich bereit bin.»
Und was nimmt Ivo Kassel an Eindrücken aus Japan mit nach Hause? Leider nicht allzu viele, sagt er. Denn sein Aktionsradius habe sich auf die Bereiche zwischen Hotel und Sporthalle beschränkt, die Kontakte mit Schiedsrichterkollegen auf das Stadion und den Frühstücksraum. «Wobei ich im Umgang mit den Restriktionen, regelmässigen Tests und eingeschränkten Kontakten aus Thailand bereits Erfahrung hatte.»
Ivo Kassel hat als Schiedsrichter alles erreicht. Wo liegen die künftigen Herausforderungen?
«Ja, ich habe sämtliche grossen Turniere erlebt. Und ich muss mich tatsächlich fragen: Was möchte ich noch tun, wohin will ich noch gehen?»
In den nächsten Monaten, sagt er, wolle er in sich gehen und die Frage beantworten, ob es weitergeht und wenn ja, in welcher Form.