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Ostschweiz
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Rabanadas, filhos und bolo rei, diese Desserts müssen gekostet werden, sagt Isabel Gouveia,Wirtin in Niederbüren, während sie vom Weihnachtsfest in ihrer ehemaligen Heimat erzählt. Sie schildert die Traditionen und Bräuche in Portugal.
«Die Adventszeit unterscheidet sich in Portugal nicht von derjenigen in der Schweiz», erklärt Isabel Gouveia, « hingegen wird St. Nikolaus nicht gefeiert.» In dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, wird am Abend des 5. Dezembers eine schöne Tradition aufrechterhalten. Dann ziehen die Familien singend von Haus zu Haus und sammeln Geld. Den Ertrag legen alle Dorfbewohner zusammen. Er wird während des kommenden Jahres für Notwendiges im Bereich der örtlichen Infrastruktur verwendet oder kommt Hilfsbedürftigen im Dorf zugute. Für Isabel Gouveia ist das ein schöner Brauch, sie beginnt zu strahlen, wenn sie davon erzählt.
Jeder geht in den Wald und schneidet seinen Baum
Am 22. Dezember, zwei Tage vor dem Heiligen Abend, werden die Christbäume gehauen. Jede Familie geht in einen Wald in der Nähe, schneidet sein Tännchen und nimmt eines nach Hause. «Das ist legitim, niemand wird deswegen gescholten oder bekommt eine Strafe», erklärt sie, «gekauft wurden die Christbäume nie». Daheim angelangt, wird der Boden mit Moos bedeckt, darauf kommen die Tanne, die Krippe samt Figuren und die Geschenke. Der Weihnachtsbaum wird mit üblichem Baumschmuck dekoriert. Am Abend wird auf dem Dorfplatz aus einem Holzstapel oder einem Baustamm ein Feuer entfacht. Die Dorfbevölkerung versammelt sich dort, um zu essen und zu tanzen.
Stockfisch kommt auf den festlich gedeckten Tisch
Am 24. Dezember trifft sich die ganze Familie abends zur Weihnachtsfeier. «Zuerst wird tüchtig gegessen», erklärt sie. Auf den festlich gedeckten Tisch – darauf wird grossen Wert gelegt – kommen Bacalhau (Stockfisch), Kartoffeln sowie Kohl. Dieses Mahl müsse von allen am Tisch sitzenden gegessen werden – auch vom Kleinkind, erklärt sie. Bei Isabel Gouveia gehört dieses Menü heute noch jedes Jahr zur Weihnachtsfeier. Anschliessend werden die Süssspeisen serviert: Rabamadas, filhos und bolo rei. Diese bereitete jeweils ihre Mutter zu, die dafür ab Mittag in der Küche stand. Das wird sie dieses Jahr auch wieder tun, denn Isabel Gouveias Eltern weilen heuer während der Weihnachtszeit in der Schweiz. Darauf freut Sich die Portugiesin ganz besonders. «Wir alle zusammen werden so richtig Weihnachten feiern wie früher», erklärt sie. Wie früher, als ihr Vater Akkordeon spielend, die Familie unterhielt, die tanzend und singend den Weihnachtsbaum umkreiste. Mit dabei ist ebenfalls ihr Bruder samt Familie, der auch in der Schweiz wohnt. Die Weihnachtsfeierlichkeiten der Portugiesen dauern lange – manchmal bis am frühen Morgen.
Bolo rei und Geschenke für alle
Rabanadas sind Brotschnitten, die in ein Gemisch von Milch, Eier, Zucker und Gewürzen getaucht, gebraten und anschliessend mit Zimt-Zucker bestreut werden. Der Teig der Filhos besteht aus Mehl, Eier, Milch, Zucker, Hefe, Butter, Salz, frischem Orangensaft und Schnaps. Den Teig während zweier Stunden gehen lassen, kleine Kugeln formen und frittieren. Anschliessend mit Zimt bestreuen oder mit Honig bestreichen. Ebenso werden Milchreis und flambierte Vanillecrème aufgetischt. Tradition ist es, dass um Mitternacht Champagner und bolo rei serviert werden. Bolo Rei ist eine Art Weihnachtsstollen, der mit kandierten Früchten dekoriert ist. Im Innern ist eine Bohne versteckt. Wer sie findet, muss im kommenden Jahr den bolo rei zubereiten. Er wird aus Mehl, Zucker, Butter, Hefe, Eier, Milch und etwas Portwein zubereitet. Tradition ist es ebenso, dass um Mitternacht die Geschenke ausgepackt werden. «Bei uns liegt immer für jeden ein Geschenk unter dem Baum», erklärt Isabel Gouveia, «das ist kein Müssen, daran haben wir Freude». Es sei meist etwas Kleines, das von Herzen komme. Geldgeschenke empfindet sie als nichts Schönes. Sind alle Geschenke ausgepackt, wird gesungen – die bei uns bekannten Weihnachtslieder und die speziellen portugiesischen – und getanzt.
26. Dezember ist ein normaler Tag
Der 25. Dezember wird in jeder Familie unterschiedlich gefeiert. Isabel Gouveia und ihre Familie besuchten am Vormittag den Gottesdienst, anschliessend wurden Spanferkel, Reis, Kartoffeln und Gemüse gegessen. Am 24. und 25. Dezember wird immer zu Hause gespiesen. Die Restaurants und Läden bleiben geschlossen. Der 26. Dezember hingegen ist ein ganz normaler Tag. Auch in Portugal werden zwischen Weihnachten und Neujahr Ferien bezogen.
Hinweis Während des Advents erscheint wöchentlich ein Text unter dem Titel: «Wie wird Weihnachten im ehemaligen Heimatland gefeiert.» Vier Frauen erzählen von Bräuchen und Traditionen aus dem Land, in dem sie aufgewachsen sind. Bereits erschienen: Dorthe Keller-Boedker, Dänemark (30. November); Elli Broxham, Wales/Grossbritannien, (8. Dezember); Jana Welter-Patočková, Tschechien (14. Dezember).