Sie hat den Eiffelturm am Herzen

Gestern, am 12.12.12, feierte Maria Dudli ihren 104. Geburtstag. Die Sirnacherin arbeitete schwarz in Paris, war wegen Tuberkulose sieben Jahre ans Bett gefesselt und nahm viele Gastarbeiter bei sich auf.

Raya Badraun
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Maria Dudli bekommt im Regionalen Alterszentrum Tannzapfenland regelmässig Besuch von ihrer Tochter Mariette Gutweniger. (Bild: Nana do Carmo)

Maria Dudli bekommt im Regionalen Alterszentrum Tannzapfenland regelmässig Besuch von ihrer Tochter Mariette Gutweniger. (Bild: Nana do Carmo)

MÜNCHWILEN. An einer langen Kette um ihren Hals hängt ein bronzefarbener Eiffelturm. Das Pflegefachpersonal des Regionalen Alterszentrums Tannzapfenland in Münchwilen hat Maria Dudli das Schmuckstück geschenkt. Heute ist ihr 104. Geburtstag, eine gute Gelegenheit, um auf ihr langes Leben zurückzublicken. Die Kette um den Hals ist Teil davon. Während des Gesprächs beginnt die alte Dame immer wieder zu summen und zu singen. Das hat sie schon als Kind gerne gemacht. «Das Schlimmste war die Fastenzeit. Eine Hausangestellte verbot mir während dieser Zeit das Singen», sagt Maria Dudli. Also ging sie in den Keller, wo sie niemand hörte.

Drei Mütter, sechs Geschwister

Maria Keller kommt 1908 in Uznach zur Welt. Das mittlere von sieben Kindern wächst mit ihrem Vater, einem Bankangestellten, ihrer Mutter und später zwei Stiefmüttern auf. Die junge Frau lernt Damenschneiderin. Weil man zu der Zeit aber kaum Arbeit findet, reist sie nach Paris, um dort schwarz zu arbeiten. In der Seine-Stadt wird sie Kindermädchen, der Kontakt zur französischen Familie bleibt über die Jahre bestehen. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt die junge Maria Keller in einer schwarzen, strengen Uniform mit Schleier, ähnlich dem Kleid einer Ordensschwester.

In Paris lernt sie den Vater ihres ersten Kindes kennen. Schwanger kehrt die 25-Jährige in die Schweiz zurück. Jean-Marie Jacques, später Hans genannt, kommt in einem Mutter-Kind-Heim zur Welt. Kurz nach der Geburt erkrankt die junge Mutter an Tuberkulose. Sieben Jahre lang ist sie ans Bett gefesselt, während Hans bei einer Tante aufwächst. Mit 32 Jahren reist sie nach Maienfeld zu Pfarrer Emmenegger, einem Naturheilpraktiker. Dank seinen Arzneien aus Kräutern wird die stark geschwächte Frau wieder gesund.

50 Rappen pro Stunde

Im Büro der Seidenweberei ihres Bruders findet sie eine Anstellung. Zehn Jahre arbeitet und lebt Maria Keller in Amden oberhalb des Walensees. Mit 50 Rappen pro Stunde kann sie sich und ihren Sohn aber kaum über Wasser halten. Daneben macht ein Angestellter ihr das Leben schwer. «Gib doch eine Heiratsannonce auf», rät ein Bekannter. «Dann musst du nicht noch länger hier bleiben.» Gesagt, getan. Es meldet sich Anton Dudli. Und schon bald wird geheiratet.

Überraschendes Kinderglück

1950 zieht sie zu ihrem Mann nach Sirnach, wo sie bis zu ihrem 98. Lebensjahr bleibt. Ihr Mann rechnet nicht mehr mit einem eigenen Kind, als Maria Dudli ihm mit 43 Jahren eine Tochter, Maria Antonietta Elisabetha, kurz Mariette, schenkt. Als das Kind 13 Jahre alt ist, stirbt Anton Dudli an einem Herzinfarkt. Noch einige Jahre führt Maria Dudli die Teppichhandweberei alleine weiter.

Im grossen Haus nimmt sie bis zu 15 Gastarbeiter auf. Zuerst Italiener, dann Spanier, später Türken und Jugoslawen. Kommt die Tochter von der Schule nach Hause, ruft sie durch das ganze Haus nach ihrer Mutter. «So glaubten die Gastarbeiter, sie heisse Mami und nicht Maria», sagt Tochter Mariette Gutweniger und lacht. Maria Dudli vermietet nicht nur Zimmer, sie hilft ihren Gästen auch, eine Stelle zu finden.

«Weil sie oft um Hilfe gebeten wurde, kam es vor, dass sie ihren Kaffee mehrmals aufwärmte und dann trotzdem kalt trank», erinnert sich Mariette Gutweniger, die das Zusammenleben im Haus als familiär bezeichnet.

Passionierte Grossmutter

Als die Weberin an Krebs erkrankt, steht Maria Dudli vor einem Problem, denn sie selbst kann nicht weben. Mit ihrer Tochter versucht sie, die noch hängigen Aufträge auszuführen. 1974 verkauft die Familie schliesslich alle Maschinen. Als die damals 20jährige Mariette Gutweniger heiratet, zieht ihr Mann ins Haus. Dank vier Enkelkindern füllt es sich mit neuem Leben. Dazu kommen drei Kinder von Hans, und heute 12 Ur- und ein Ururenkel. Sie ist eine liebevolle Grossmutter. Das Leben um sie herum ist es denn auch, das Maria Dudli 104 Jahre alt werden liess.