Oberuzwil
«An dieser Arbeit bin ich persönlich gewachsen»: Edwin Sprenger hat eine Stummfilmkamera gebaut – nun darf er seine Filme im Kino zeigen

Edwin Sprenger aus Oberuzwil ist fasziniert von Schwarz-Weiss-Filmen. Sein Kindheitstraum war es, selbst eine 35-mm-Stummfilmkamera zu bauen. Mittlerweile hat er damit Filmmaterial produziert.

Zita Meienhofer
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Edwin Sprenger und seine selbstgebaute 35-mm-Stummfilmkamera.

Edwin Sprenger und seine selbstgebaute 35-mm-Stummfilmkamera.

Bild: PD

Schuld ist seine Frau. Als Edwin Sprenger 2011 Kathrin Hobi kennen und lieben lernte, fühlte er die Zeit gekommen, seinen Kindheitstraum zu verwirklichen. Der Oberuzwiler wollte die Herausforderung packen, eine 35-mm-Stummfilmkamera zu bauen. Er sagt: «Ich wusste, dass ich nun bereit war.»

Edwin Sprenger aus Oberuzwil ist 53 Jahre alt, gelernter Polymechaniker, Tüftler aus Leidenschaft, ein Bewunderer des Schwarz-Weiss-Films sowie Fan von Charlie Chaplin – und das, seit er sich erinnern kann. So stürzte sich in ein Abenteuer, wobei ihm nichts zu beschwerlich war.

Der Kindheitstraum: Eine Kamera, wie Birt Acres sie benutzte

Als Bub wusste Edwin Sprenger bereits, dass er eine Kamera, wie sie der britische Filmpionier Birt Acres 1896 entwickelt hatte, einmal selber anfertigen möchte. Damals dienten ihm Lego-Technik-Teile für den Bau eines Projektors, auch Kartonschachteln hatte er für einzelne Teile benutzt.

Er las viel im Buch «Wie funktioniert das?», das er von seinem Opa hatte. «Wie man eine Kamera baut, stand leider nicht darin», sagt er. Stundenlang hockte er nach der Schule an «seinem Projekt». Letztlich blieb es immer beim Versuch und er vertagte sein Vorhaben auf später.

Das Schrittgetriebe transportiert schrittweise das Filmmaterial.

Das Schrittgetriebe transportiert schrittweise das Filmmaterial.

Bild: Zita Meienhofer

2011 war der richtige Zeitpunkt gekommen. Sprenger sagt: «Ich begann, mich vertiefter mit der Materie zu befassen, studierte das Filmwesen, lernte mit einem CAD-Programm zu zeichnen.» Unterlagen und Anleitungen für den Bau einer solchen Kamera sind nirgends zu finden. Das Einzige, was er besass, war ein Schrittgetriebe; das Herzstück der Kamera, jenes Teil, das den Film transportiert. Das er dann für seine Kamera nachbauen konnte.

Edwin Sprenger begann, sich mit den Einzelteilen zu beschäftigen, zeichnete, tüftelte, konstruierte, berechnete, probierte aus, verbesserte – bis er vier Jahre später fertig war. Er erzählt, wie er Schritt für Schritt seinem Traum näher gekommen ist. Wie er Teil für Teil angefertigt hat. Wie er letztlich alles zusammensetzte und wusste, dass es passt.

In einem Ordner hat er all seine Zeichnung und Berechnungen für die einzelnen Teile abgelegt.

In einem Ordner hat er all seine Zeichnung und Berechnungen für die einzelnen Teile abgelegt.

Bild: Zita Meienhofer

Nach vier Jahren tüfteln, berechnen und konstruieren konnte er filmen

Am 20. September 2019 war es so weit: Edwin Sprenger drehte seinen ersten Film. Akteur war sein Arbeitskollege, der mit dem Gleitschirm von der Ebenalp ins Tal flog. Der Oberuzwiler richtete die Kamera von Auge aus, schaute über das Objektiv hinweg zum Objekt, kurbelte an seiner Kamera und gab Anweisungen. Seine Frau Kathrin hatte die Belichtungszeit zu stoppen und unterstützte ihn bei der Arbeit.

Das Ergebnis: ein etwas ruckelnder Schwarz-Weiss-Film ohne Ton – so wie man es kennt aus der Stummfilmzeit, von den Charlie-Chaplin-Filmen oder jenen mit Dick und Doof. Filme, die in den 1920-Jahren hätten gedreht werden können.

Mit seiner Kamera lockte Edwin Sprenger auf der Ebenalp Publikum an. Dieses habe gestaunt, als es seine Kamera gesehen habe, erzählt der Hobby-Filmemacher. Auch seien sie interessiert gewesen, hätten ihn ausgefragt. Für ihn war es ein wunderbares Gefühl, zu sehen, dass seine Kamera funktioniert.

Bei den Dreharbeiten darf Kathrin Hobi nicht fehlen. Sie unterstützt ihren Mann Edwin Sprenger bei der Arbeit.

Bei den Dreharbeiten darf Kathrin Hobi nicht fehlen. Sie unterstützt ihren Mann Edwin Sprenger bei der Arbeit.

Bild: PD

Schwarz-Weiss-Stummfilm auf einer Grossleinwand

Der Oberuzwiler bemühte um weitere Szenen, die er zu einem Film verarbeiten konnte. Es kam zu einem Dreh bei der Therapeutischen Wohngemeinschaft im Hofberg in Wil, auf dem Kamelhof in Olmerswil, bei Hannes und dessen Oldtimer der britische Automarke Austin-Healey, bei einer Familie auf dem Trampolin oder bei Kollegen und deren Hündin.

Im Frühling 2021 konnte Edwin Sprenger im Fotofachgeschäft Hausamann in St.Gallen seine Kamera ausstellen und präsentieren. Das Interesse war gross. Auch das TVO besuchte ihn dort und berichtete. Und vor einigen Monaten – als der Filmfreak wieder einmal im Cinewil war –, erzählte er von seiner Kamera und seinen Filmen.

Von der Kino-Geschäftsführerin Felicitas Zehnder bekommt er nun die Möglichkeit, seine Filme für ausgewählte Gäste auf einer Grossleinwand vorzuführen. Dazu musste er jedoch die Filme digitalisieren. Vor drei Wochen hat er das Resultat erstmals auf einer Grossleinwand gesehen. Er sagt:

«Es sieht so gut aus. Ich war überwältigt.»

Natürlich bleibt es nicht bei der einen Kamera. Das Projekt Kamera 2.0 läuft bereits und 3.0 sowie 4.0 sind im Kopf oder auf Papier. Für Edwin Sprenger ist die Kamera noch viel mehr als nur ein Gerät, mit dem er filmen kann und in dem sehr viel Herzblut steckt. Für ihn ist es auch eine Bestätigung, zu sehen, was alles möglich ist, was er kann. Er sagt: «Vieles war in mir, ich musste es nur noch entdecken.»

Für ihn, dessen Leben nicht immer nur geradeaus verlaufen ist, war die Tatsache, dass seine Kamera funktioniert, ein grosser Erfolg. Er sagt:

«Ich bin persönlich am Kamerabau gewachsen. Ich hätte das vor 20 Jahren nicht gekonnt, hätte auch nicht vor Leute stehen und von meiner Arbeit erzählen können.»
Der Bau der Kamera war für Edwin Sprenger nicht nur eine technische Herausforderung, es war auch eine persönliche.

Der Bau der Kamera war für Edwin Sprenger nicht nur eine technische Herausforderung, es war auch eine persönliche.

Bild: Zita Meienhofer