Ein Blick auf Tendenzen und Statistiken vergangener Wahlen zeigt, dass Wil schon lange etwas grüner wählt als der Schweizer Durchschnitt.
Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Diese Redewendung beschreibt treffend, dass es nach den Gesamterneuerungswahlen auf Bundesebene für die Parteien auf kantonaler und kommunaler Ebene beinahe nahtlos weitergeht. Im Frühling werden die Kantonsregierung sowie die Mitglieder des Kantonsrats gewählt, im September schliesslich folgen auch in der Stadt Wil Gesamterneuerungswahlen.
Nach den – für Schweizer Verhältnisse – erdrutschartigen Gewinnen von Grünen und Grünliberalen am 20.Oktober stellt sich die Frage, was dies für Wahlen des Wiler Stadtparlaments bedeuten könnte. Indizien dafür liefert einerseits ein Blick in die Vergangenheit, anderseits die Verschiebungen der Wähleranteile in der Stadt Wil bei den Gesamterneuerungswahlen.
Als 2015 National- und Ständerat gewählt wurden, war von einem Rechtsrutsch die Rede. Grösste Gewinnerin war damals die SVP, gefolgt von der FDP. Dieser Trend bestätigte sich auch auf kommunaler Ebene: Als ein Jahr später in Wil das Stadtparlament neu gewählt wurde, zeigte sich dasselbe Bild.
Auch hier ging die SVP als Siegerin hervor und konnte ihre Anzahl der Sitze von sieben auf neun erhöhen. Die FDP verteidigte ihre acht Sitze, was angesichts der Reduktion der Sitze im Stadtparlament von 45 auf 40 ebenfalls als positives Ergebnis gewertet werden konnte. Auch bei den Verliererinnen folgten die Stadtparlamentswahlen dem Trend, der sich zuvor in Bundesbern abgezeichnet hatte – zumindest im Fall der CVP. 2015 verlor die Partei national 0,7 Prozentpunkte, ein Jahr später büsste sie in Wil gar vier ihrer 13 Sitze ein.
Eine Partei schwimmt in Wil aber gegen den Strom. Vielleicht liegt es daran, dass sie die Parteibezeichnung mit dem Zusatz Prowil ergänzt hat und damit auf Stadtebene punktet. Was auch immer die Gründe sind, die Grünen sind in Wil überproportional stark – und das bereits lange vor Klimastreiks und grüner Welle.
Diese brandete nämlich bereits 2016 ans Wiler Politufer. Ein Jahr, nachdem die Ökopartei national 1,8 Prozent und damit am meisten Wähleranteile eingebüsst hatte, legte sie in Wil sogar um einen Sitz zu. Sie kam in der Stadt auf einen Wähleranteil von 14,3 Prozent. Damit liess sie die SP knapp hinter sich – und zog mit Daniel Stutz auch noch in die Stadtregierung ein.
Wer jetzt glaubt, Wil sei links-grün geprägt, irrt jedoch. Die Bürgerlichen besetzen zusammen 70 Prozent der Sitze im Stadtparlament. Der Aufschwung der Grünen Prowil vor drei Jahren ging denn auch nicht zu Lasten bürgerlicher Parteien. Stattdessen wurde er begleitet von einem Rückgang des Wähleranteils der SP. Wil war also in dieser Hinsicht der Zeit voraus. Die Wähleranteile verschoben sich innerhalb des linken Spektrums von der SP zu den Grünen.
Die Resultate auf nationaler Ebene spiegelten sich in der Vergangenheit ein Jahr später in Wil wieder. Deshalb lohnt sich für die Parteien ein Blick auf das Wahlverhalten der Wiler am 20.Oktober. Sorgenfalten dürften dabei einzig die SVP-Politiker bekommen. Beinahe jeder sechste Wiler, der 2015 noch die SVP in den Nationalrat gewählt hatte, kehrte der Partei in diesem Jahr den Rücken. Alle anderen grossen Parteien konnten ihren Wähleranteil bei den Wilerinnen und Wilern zumindest halten. Am stärksten zugelegt haben in der Äbtestadt Grüne (+2,8 Prozent) und GLP (+2 Prozent). Im Unterschied zum nationalen Resultat geschah dies aber nicht auf Kosten der SP. Diese konnte in Wil ihren Wähleranteil ebenfalls leicht ausbauen (+0,6 Prozent). Auch der CVP (+0,4 Prozent) und vor allem der FDP (+1,4 Prozent) dürfte das Abschneiden bei den Nationalratswahlen in Wil Mut machen.
Erwartet die Stadt Wil im nächsten Herbst eine Klimawahl? Die Zahlen und Tendenzen lassen es vermuten. Einschränkend gilt jedoch zu sagen: Wahlen gewinnt in der Schweiz jene Partei, die ihre Wähler am besten mobilisieren kann. Im Oktober waren das Grüne und Grünliberale. Beide Parteien profitierten davon, dass viele Neuwähler ihnen ihre Stimme gaben. Die Klimajugend protestierte nicht nur auf der Strasse, sondern verlieh ihrem Anliegen auch an der Urne Ausdruck. Ob die Kommunalparteien die Jugend im gleichen Mass für sich gewinnen können, bleibt abzuwarten.
Die Frage wird auch sein, ob in Wil die grünen Parteien oder die SP von einer allfälligen Mobilisierung der Klimajugend profitieren. Schliesslich sind zwei der medial stark vertretenen Mitglieder der Wiler Klimabewegung, Anna Miotto und Timo Räbsamen, Mitglieder der Juso.