LÜTISBURG: Die Kinder der Annette Clodt

Das Archiv der Künstlerin Annette Clodt ist seit ihrem 96. Geburtstag am 6. Juli für Sammlerinnen und Sammler geöffnet. Die Künstlerin, die in Deutschland geboren ist, hat ihr Herz ans Toggenburg verloren.

Martina Signer
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Die Künstlerin Annette Clodt «im Winter ihres Lebens». Ein Selbstporträt. (Bilder: Martina Signer)

Die Künstlerin Annette Clodt «im Winter ihres Lebens». Ein Selbstporträt. (Bilder: Martina Signer)

Martina Signer

martina.signer@toggenburgmedien.ch

Eine schiere Explosion an Farben, Eindrücken und Gefühlen schlägt über einem zusammen, wenn man das Archiv des Kunstsammlers David Hirsiger betritt. Kraftvolle Ölbilder von Annette Clodt hat deren Nachlassverwalter aus Lütisburg Rahmen an Rahmen aufgehängt. Sie zeigen Emotionen, welche die Künstlerin, die 2008 verstorben ist, zeit ihres Lebens begleitet haben und die sie mit Pinsel und Spachtel auf Leinwände gebracht hat.

Woche für Woche Besuche bei der Künstlerin

«Viele der Bilder sind keine leichte Kost», sagt David Hirsiger, den mit der Künstlerin eine enge Freundschaft verband. Einige Bilder mögen verstörend wirken, die Farben erzählen von Wut und Leid. David Hirsiger kennt die Geschichte hinter jedem einzelnen Gemälde. «Nachdem ich mein erstes Bild gekauft habe, war ich irgendwann jede Woche dort.» Dort, das heisst auf ihrem Anwesen mit schönem, parkähnlichem Garten im Rick in Mosnang. Hier hat die bekannte Künstlerin nach einem bewegten Leben mit zweitem Weltkrieg, Existenzängsten, einer Hochzeit im Krankenhausbett und starker Sehnsucht nach Liebe etwas Ruhe gefunden. Und doch, sie als ruhig zu bezeichnen, fiele wohl niemandem ein, der sie gekannt hat. Sie hatte immer gerne Menschen um sich. Auch Kinder. Selber hatte sie nie welche. «Nicht ganz», sagt Hirsiger, «sie hängen doch alle hier.»

Den Tod in den eigenen Bildern verarbeitet

Während viele Gesichter in den Gemälden an die Züge der Künstlerin selbst erinnern, andere sogar ganz eindeutig Selbstbildnisse sind, hat sie auch Menschen aus ihrer Umgebung gemalt. Zum Beispiel die Mutter David Hirsigers. Das Bild hängt in seinen vier Wänden. Obwohl viele ihrer Bilder von Menschen handeln, von gesellschaftskritischen Fragen und starken Emotionen, hat Annette Clodt auch Landschaften gezeichnet, wie David Hirsiger im Archiv präsentiert, das er nach Absprache auch für Kunstsammler öffnet. Auf dem Rundgang überschlagen sich die Worte von David Hirsiger beinahe. Von einem Bild zum nächsten und nochmals zurück zeigt er Zusammenhänge auf, die dem Betrachter eines einzelnen Bildes wohl nicht ins Auge gestochen wären. Sinnliche Bilder, aber auch zarte Berührungen zwischen den Hauptdarstellern zeigen das Sehnen der Künstlerin nach Nähe und Geborgenheit. Etwas, das sie verspürt hat, nachdem ihr geliebter Mann verstorben war. Aus manchem Gemälde springt einem der Tod beinahe entgegen, in anderen fällt er nur dann auf, wenn man die Geschichte dahinter erfährt. Zum Beispiel, wenn Blumensträusse in Vasen neben halb abgebrannten Kerzen abgebildet sind. «Die Kerze hat eine besondere Bedeutung. Sie versinnbildlicht Todesfälle. Mit dem Malen solcher Gemälde hat Annette Clodt ihre Trauer verarbeitet.» Auch mit ihrem eigenen Sterben hat sich Annette Clodt schon lange vor ihrem Tod 2008 künstlerisch auseinandergesetzt.

Das erste und das letzte Ölgemälde

Die Zeit im Archiv mitten in vor Farbe sprühenden Bildern vergeht wie im Flug. David Hirsiger bietet einen Sekt an. Genauso, wie es Annette Clodt in ihrem Zuhause so viele Male gemacht hat, wenn sie ein Bild verkauft oder Besuch empfangen hat. David Hirsiger hält ihr Andenken in Ehren. Nicht nur Gemälde von ihr, sondern auch Hunderte Skizzen befinden sich in seinem Besitz. «Sie hat diese Zeichnungen immer weggeworfen und ich habe sie danach aus dem Kübel gefischt», erinnert sich David Hirsiger. Irgendwann landeten die Skizzen nicht mehr im Abfall, sondern lagen für den Besuch David Hirsigers bereits unter der Schreibunterlage der Künstlerin bereit. Und heute befinden sich sowohl das erste als auch das letzte Ölbild der mit 88 Jahren verstorbenen Künstlerin im Besitz David Hirsigers.