Eines darf man nicht behaupten: Dass Gaby und Henry nicht das Beste aus der Situation gemacht haben. Das Duo war eingesprungen, weil die Musique Simili wegen eines Spitalnotfalls vier Tage zuvor absagen musste.
Michael Hug
Natürlich, der Saal beim MVG Flawiler Kultur hätte am Freitagabend voll – «full house» – sein können. Doch wer Kultur machen will in Flawil, hat es schwer im Allgemeinen, und im Besonderen, wenn der gute Ruf noch nicht in die Ostschweiz gedrungen ist. Was das Flawiler Publikum nicht kennt, frisst – besucht – es nicht. So bekannt die Camus aus Effretikon national und auch international sein mögen, in Flawil sind sie es offenbar nicht.
Keine zwei Dutzend Personen wollten das Artistik-Komik-Duo sehen. Eigentlich schade, denn Full House bot vor leerem Haus hochstehende Kultur. Nun ja, ein paar – absichtliche – Durchhänger in die niedrige Kultur waren drin im Programm «Alta Cultura». Doch dem waren sich Gaby und Henry durchaus bewusst. Immer, wenn es wieder so weit war, zum Beispiel nach einem auf der Bühne ausgetragenen Ehekrach – die beiden sind seit mehr als zwei Jahrzehnten verheiratet –, setzte sich Henry ans Klavier, seinen «Frankensteinway», spielte eine Sonate von Debussy, und schon war der Level wieder nach oben angepasst.
Gaby wollte von der Begeisterung, die Henry aus dem Publikum zukam, ein Stück für sich abschneiden und masste sich an, ein Lied zu singen. Da fiel das kulturelle Level wieder in den Keller, und sogar dem Klavier wurde schlecht, es spreizte die Beine. Ein hochprofessionelles Bühnen-Duo lässt sich von solchen Widerwärtigkeiten natürlich nicht aus der Fassung bringen. Vor fast leerem Saal zu spielen, ist ohnehin hohe Kunst. Dies bald 30 Jahre zu tun und sich dabei auch privat gut zu verstehen, ist beachtenswert. «Wir sind beide glücklich verheiratet», sagt sie. Und er: «Sie ist glücklich und ich bin verheiratet!» Derweil steuerte die elfjährige Tochter im Hintergrund das Bühnenlicht. Eine glückliche Familie mit Hang zur schrägen Show, unsicherem Einkommen und zwei Wohnorten.
Gaby, die Schweizerin, und Henry Camus, der geborene New Yorker, verstehen es auf hohem Niveau, Bühnenshow, Artistik, Comedy und Musik in humoriger Weise zu verbinden. Henry ist Musiker, Artist und Clown zugleich, geboren für den Zirkus, ein Lausbub und fahriger Unterhalter mit Hyperaktivitätssyndrom. Sie, Gaby, die vernünftige Rote-Faden-Halterin, hält auch mal mit der Peitsche ihren Partner und die Show in der Spur. Er stört sich daran, dass sie ihn immer wieder aus seinen Luftblasen holt. Sie nervt sich daran, dass er ihr die Show stiehlt. Also macht sie jetzt mal selber etwas: den Drei-Bälle-Weltrekord. Der liege bei über 30000 Ballwechseln, belehrte er sie, entmutigen liess sie sich nicht. Doch hätte er, Henry, ihr nicht mit einem beherzten Einfall einmal mehr die Show gestohlen, würde Gaby noch heute die drei Bälle jonglieren.