Krieg in der Ukraine
«Die Integration ist keine Einbahnstrasse»: Fünf Brückenbauerinnen sind in Wil für Flüchtlinge aus der Ukraine am Werk

Immer mehr Flüchtlinge kommen in der Stadt Wil an. Damit sie sich möglichst schnell zurechtfinden, reichen Unterkunft und Dolmetschen allein nicht aus. Mit Brückenbauerinnen will die Migrantenfachstelle Wil den Flüchtlingen helfen, selbstständig zu werden.

Sabrina Manser
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Die Gründerin der Migrantenfachstelle, Rita Kobler-Emiko, im Kids Park am neuen Standort in Wil.

Die Gründerin der Migrantenfachstelle, Rita Kobler-Emiko, im Kids Park am neuen Standort in Wil.

Bild: Sabrina Manser

Nach und nach suchen Flüchtlinge aus der Ukraine in der Schweiz Schutz, so auch in der Stadt Wil. Eine Unterkunft für die Flüchtlinge zu organisieren, ist das eine. Dass sich Flüchtlinge hier zurechtfinden, das andere.

Um Letzteres zu unterstützten, dafür setzt sich die Migrantenfachstelle in Wil ein. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge interkulturell zu begleiten und zu beraten – so auch Flüchtlinge aus der Ukraine. «Unser Ziel ist es, dass die Flüchtlinge möglichst schnell den Alltag selbstständig bewältigen können», sagt Rita Kobler-Emiko. Die gebürtige Nigerianerin ist diplomierte Migrationsfachfrau und hat vor zwei Jahren die Migrantenfachstelle (Mifa) gegründet. Die Fachstelle sieht sich als Ergänzung der Behörden.

Brückenbauerinnen begleiten im Alltag

Mit den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern würde einiges an Arbeit auf sie zukommen. Wie viel, sei schwierig abzuschätzen, sagt Kobler-Emiko. Derzeit würden einige Hintergrundarbeiten laufen, zum Beispiel mit der Schule. Man schaue, wie man sich organisiere und wo die Migrantenfachstelle unterstützen könne. Kobler-Emiko erklärt:

«Die Sprache ist das eine, die kulturellen Unterschiede das andere.»

Um denen zu begegnen, arbeitet die Migrantenfachstelle mit sogenannten Brückenbauerinnen und Brückenbauern zusammen.

«Bei uns sind fünf Brückenbauerinnen mit ukrainischen Wurzeln am Werk», sagt Kobler-Emiko. Diese unterstützen nicht nur bei Sprachproblemen, sondern kennen auch die Kultur im Heimatland der Flüchtlinge. In erster Linie gehe es aber darum, die Familien im Alltag zu begleiten. Man werde ihnen die Gegend näherbringen, zeigen, wo sie einkaufen oder wo sie mit den Kindern auf einen Spielplatz können, ihnen Alltagsdeutsch beibringen. Die Brückenbauerinnen begleiten die Flüchtlinge zu Terminen beim Arzt oder der Behörde.

Anfang Jahr zog die Migrantenfachstelle von Bronschhofen nach Wil.

Anfang Jahr zog die Migrantenfachstelle von Bronschhofen nach Wil.

Bild: Sabrina Manser

Offenheit und Empathie

«Wir möchten den Familien auch eine Möglichkeit bieten, sich auszutauschen», sagt Kobler-Emiko. Zum Beispiel mit einem Erzählcafé. Teilnehmende können bei einem moderierten Austausch über ihre Erfahrungen berichten. «Manchmal wollen die Leute einfach reden. Viele, die hier ankommen, sind traumatisiert», sagt die Migrationsfachfrau. Deswegen sei es auch wichtig, dass private Personen, die Flüchtlinge bei sich aufnehmen, die Situation nicht unterschätzen. «Es treffen zwei Kulturen aufeinander, zudem kommen die Ukrainerinnen und Ukrainer gerade aus einem Krieg.» Auch Privatpersonen biete man Unterstützung.

Damit sich die Flüchtlinge hier aufgenommen fühlen, müsse die Wiler Bevölkerung offen und empathisch sein, sagt Kobler-Emiko.

«Integration ist keine Einbahnstrasse, es muss von beiden Seiten kommen.»

Die Realität aufzeigen

In einem nächsten Schritt würde dann eine vertieftere Integration anstehen. So, wie es die Migrantenfachstelle bei anderen Migrantinnen und Migranten macht. Anders als die Flüchtlinge aus der Ukraine würden diese aber oft mit gewissen Erwartungen hierherkommen. Kobler-Emiko sagt: «Ich erlebe es oft, dass die Träume der Menschen geplatzt, sie enttäuscht sind, weil sie es sich anders vorgestellt haben. Hinzu kommt oft ein Kulturschock.» Aufgabe der Migrantenfachstelle sei es dann, einen «Reality-Check» zu machen, wie es Kobler-Emiko nennt.

«Wir erklären den Leuten in der Muttersprache, wie die Realität aussieht und wie sie ihre Ziele erreichen.»

Viele denken, sie können hierherkommen und zum Beispiel als Verkäuferin arbeiten. «So einfach ist das aber nicht», sagt die Migrationsfachfrau. Auch ihr Jura-Abschluss habe in der Heimat eine andere Bedeutung als hier. Man zeige den Leuten auf, welche Kompetenzen sie brauchen, welche Aufgaben eine Arbeit beinhalte. Meist gehe es aber zuerst darum, die Sprache zu lernen, danach eine Tagesstruktur zu schaffen und sich erst dann um eine Stelle zu kümmern. «Wir begleiten die Leute Schritt für Schritt.»

Auch für Kinder gibt es Angebote. Der Kids Park sei ein Eingliederungsort für Kinder bis sechs Jahre. Spielerisch würden die Kinder beim Puppentheater oder beim «Verkaufslädeli» Deutsch lernen und würden so auf den Kindergarten vorbereitet, sagt Kobler-Emiko.

Im «Verkaufslädeli» können die Kinder spielerisch Deutsch lernen.

Im «Verkaufslädeli» können die Kinder spielerisch Deutsch lernen.

Bild: Sabrina Manser

Das Potenzial ausschöpfen

«Migrantinnen und Migranten haben sich selbst auf der Reise hierher etwas verloren. Wir zeigen ihnen Wege auf, wie sie ihr Potenzial einsetzen können», sagt Kobler-Emiko zum Ziel, das sie mit der Fachstelle erreichen will. Sie selbst hat sich mit der Gründung der Migrantenfachstelle einen Traum verwirklicht.

Anfang Jahr ist die Migrantenfachstelle von Bronschhofen nach Wil an die Toggenburgerstrasse 64 gezügelt. «Mit der zentralen Lage wollen wir mit unserem Angebot präsenter sein.» Ziel sei es auch, enger mit der Verwaltung zusammenzuarbeiten. Kobler-Emiko sagt:

«Wir sind Vorbilder und Fachkräfte und haben das Gleiche erlebt wie Migrantinnen und Migranten, die nach Wil kommen.»