Kompetenzen bilden statt Qualität verlieren: Gemeindepräsidenten fordern stärkere Konzentrierung in der Berufsbildung

Die Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten von Wil, Flawil und Uzwil machen sich für die Idee von Kompetenzzentren in der regionalen Bildungslandschaft stark. In der Wirtschaft und der Bildung stösst dies auf Anklang.

Tobias Söldi
Drucken
Die Ausbildungslandschaft der Region, im Bild das BZWU, soll mit drei Kompetenzzentren eine klarere Struktur erhalten. (Bild: Ralph Ribi)

Die Ausbildungslandschaft der Region, im Bild das BZWU, soll mit drei Kompetenzzentren eine klarere Struktur erhalten. (Bild: Ralph Ribi)

«Zurzeit besuchen Lebensmitteltechnologen und Lebensmittelpraktiker in Ausbildung die Berufsschule in Wädenswil im Kanton Zürich. Das ist weder für die Lernenden noch für die Arbeitgeber in unserer Region attraktiv.» Das sagt Elmar Metzger, Gemeindepräsident von Flawil. Er spricht nicht ohne Grund von Lebensmitteltechnologen: Die Lebensmittelindustrie hat in Flawil einen hohen Stellenwert. Mit dem Schokoladenproduzenten Maestrani ist ein wichtiger Betrieb in der Gemeinde angesiedelt. Und der Flawiler Standort des Berufs- und Weiterbildungszentrums Wil-Uzwil (BZWU) hat den Schwerpunkt auf die Ausbildung von Berufen wie Müller oder Milchtechnologen gelegt. Weitet man den Blick, stellt man fest, dass in der Region zwischen Wil und Gossau verschiedene weitere lebensmittelverarbeitende Unternehmen angesiedelt sind. «Die Lebensmittelverarbeitung der ganzen Ostschweiz konzentriert sich im Fürstenland», sagt Metzger.

Diese Ballung einer spezifischen Branche ist nicht nur in Flawil, sondern auch in Wil und Uzwil festzustellen. So fallen in Uzwil gemäss Gemeindepräsident Lucas Keel von den 6500 Arbeitsplätzen in der Gemeinde etwa zwei Drittel in den industriell-technischen Bereich, der mit der Firma Bühler einen starken Vertreter aufweist. Wils Schwerpunkt in der Dienstleistungs- und Informatikbranche ergibt sich aus seiner Funktion als Zentrumsstadt, in dessen Einzugsgebiet über 100000 Leute leben. Es überrascht nicht, dass der Dienstleistungssektor in Wil mit 74,3 Prozent höher liegt als der kantonale Durchschnitt von 62,8 Prozent.

Wirtschaftsstruktur legt Kompetenzzentren nahe

Lucas Keel, Präsident der Gemeindepräsidenten Wil-Gossau und Gemeindepräsident Uzwil

Lucas Keel, Präsident der Gemeindepräsidenten Wil-Gossau und Gemeindepräsident Uzwil

Diese Ballungen sollen sich verstärkt in der Ausgestaltung der regionalen Bildungslandschaft spiegeln. Als Präsident der Gemeindepräsidenten Region Wil-Gossau ist Lucas Keel vor einigen Wochen mit der Idee der Bildung von Kompetenzzentren in der Berufsbildung an die Öffentlichkeit getreten: So biete sich Flawil an für ein Kompetenzzentrum der lebensmittelverarbeitenden Berufe, während Wil den Fokus auf Dienstleistungsberufe und Uzwil auf industriell-technische Berufe legen soll. Es ist eine Aufteilung, die sich nicht nur aus der Unternehmenslandschaft der einzelnen Regionen ergibt, sondern auch aus den bereits existierenden Schwerpunkten der drei Standorte des BZWU. «Die Aufteilung macht geografisch Sinn, zudem können vorhandene Ressourcen und Infrastrukturen gut genutzt werden», sagt Keel, der die Diskussionen mit verschiedenen Kreisen zusammengefasst und ihr eine Stimme gegeben hat.

In der Bildungswelt stösst die Idee von Kompetenzzentren auf offene Ohren. Sie wird hier durch Umbrüche in der Berufsbildung vorangetrieben. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Art und Weise der Ausbildung, sondern ganze Berufsfelder. Neue Berufe entstehen, andere verschwinden; niederschwellige Arbeiten werden zunehmend von Maschinen übernommen, während dort, wo die Fähigkeiten eines Menschen notwendig sind, die Qualitätsansprüche immer höher werden. «Dieser Wandel in der Berufsbildung muss organisationstechnisch aufgenommen werden», sagt Marco Frauchiger, Rektor des BZWU.

Betrachtung auf Kantonsebene

Marco Frauchiger, Rektor Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil

Marco Frauchiger, Rektor Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil

Als Lösung bieten sich eben Kompetenzzentren, an denen in der Berufsbildung Synergien genutzt werden können: von den Räumlichkeiten über das Material bis zum Lehrpersonal. Ausbildungszentren mit einem stark gemischten Angebot laufen dagegen Gefahr, sich in zu vielen Kompetenzfeldern zu verzettelten, so Frauchiger. Auch finanzielle Überlegungen spielen eine Rolle: «Die Infrastruktur für die Ausbildung 20 verschiedener Berufe bereitzustellen, ist sehr kostenintensiv.» Mit seinen drei Standorten habe das BZWU diese Kompetenzkonzentration zu 90 Prozent bereits umgesetzt. Es gehe darum, die Idee noch konsequenter anzuwenden.

Die Kompetenzkonzentration in den Ausbildungsstätten ist eine Frage, die eine Betrachtung auf kantonaler Ebene erfordert. Ziel müsse eine Aufteilung sein, die eine starke, vernetzte Schulbildung zulasse. Als Besonderheit des Kantons St. Gallen erwähnt Frauchiger dessen Ringform. «Die Bildungslandschaft im Kanton ist sehr dezentral. Längerfristig ist eine Bereinigung nötig.» Er gibt ein Beispiel: Für Müller etwa gebe es in der Schweiz lediglich zwei Standorte, der eine davon in Flawil, für Kaufleute bietet allein der Kanton St. Gallen fünf Standorte. Frauchiger betont: «Es geht hier nicht um Regionalpolitik, sondern einzig und allein darum, die Qualität der Ausbildung aufrechtzuerhalten.»

Bruno Müller, Leiter des Amtes für Berufsbildung des Kantons St. Gallen

Bruno Müller, Leiter des Amtes für Berufsbildung des Kantons St. Gallen

Beim kantonalen Amt für Berufsbildung gibt Bruno Müller Auskunft. Wie Frauchiger ist auch er der Meinung, dass eine Konzentration der Kräfte nötig sei, um die anstehenden Herausforderungen wie Digitalisierung und Automatisierung bewältigen zu können. Hier ist der kommende Abstimmungssonntag vom 25. November wichtig. «Falls die St. Galler Stimmbevölkerung dem fünften Nachtrag des Einführungsgesetzes zur Berufsbildung zustimmt, werden kantonale Fachkommissionen gebildet. Und nicht wie bis anhin regionale, pro Berufsfachschule unterschiedliche», sagt Müller. Damit könne man erste Schritte unternehmen, um Ressourcen und Wissen zu bündeln und eine über den ganzen Kanton einheitliche Ausbildung der Lernenden sicherstellen.

Von Kompetenzzentren soll nicht nur die Bildungsqualität, sondern auch die regionale Wirtschaft profitieren. Die inhaltliche und geografische Nähe von Berufsfachschulen und Unternehmen fördert den Austausch. «Lehrkräfte können auf praktische Erfahrungen zurückgreifen und stehen in ständigem Austausch mit den Betrieben, ja arbeiten teilweise sogar dort», sagt Müller. Eine gute Zusammenarbeit der Ausbildungspartner – Lehrbetrieb, überbetriebliche Kursorte und Berufsfachschulen – sei ein Garant für die erfolgreiche Ausbildung der Lernenden. «Aus meiner Sicht sind die Unternehmen die wichtigsten Partner. Ohne sie gäbe es keine Lehrstellen.»

«Vorteil für die Unternehmen liegt auf der Hand»

Auch auf der Seite der Wirtschaft wird eine gegenseitige Befruchtung zwischen Kompetenzzentren und Unternehmen bestätigt. Adrian Schumacher, Mediensprecher der Standortförderung, sagt: «Ausbildungszentren erhöhen grundsätzlich die Chancen der Verfügbarkeit von Fachkräften für die ansässigen Betriebe. Der Vorteil für die Unternehmen liegt auf der Hand.» Darauf hofft auch Elmar Metzger für die Lebensmittelindustrie der Region: «Mit einem Berufsschulstandort für Lebensmittelberufe in der Region wird es den Arbeitgebern in der Lebensmittelbranche einfacher fallen, Lernende zu gewinnen.»

Wie geht es mit der Idee der regionalen Kompetenzzentren nun weiter? Die Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten der Region Wil-Gossau hätten die Idee bei Regierungsrat Stefan Kölliker und beim Amt für Berufsbildung platziert, so Lucas Keel. «Ich denke, dass auch die Kantonsräte unserer Region den Faden aufnehmen.»