Kindheitsgeschichte verarbeitet

Der in Wil aufgewachsene Max Peter Ammann stellte in der Buchhandlung Ad hoc in Wil sein erstes Buch «Die Gottfriedkinder» vor. Der Abend geriet zum facettenreichen Einblick in Wils Vergangenheit.

Beatrice Oesch
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Am Mittwochabend organisierte Natal Müller in seiner Buchhandlung Ad hoc in Wil eine aus mehreren Gründen besondere Lesung. Autor Max Peter Ammann ist 1929 in Wil geboren und auch hier aufgewachsen, hat mit seinem Buch «Die Gottfriedkinder» seine Kindheitsgeschichte aufgearbeitet, und zeigt in seinem Erstlingswerk eine lebhafte und wortgewaltige Darstellung vom «alten» Wil, das er aber nicht durch eine rosarote Brille sieht.

«Für Sprachverliebte»

Durch den Abend begleitet wurde er auf einfühlsame Weise von Liliane Schär-Jaluzot, der ehemaligen Tagblatt-Redaktorin und Autorin des Buchs «Goldener Boden», die Max Peter Ammann in ihrem Werk porträtiert hatte. So gestaltete sich der Abend nicht nur als reine Lesung, sondern zuerst als Dialog zwischen Ammann und Schär – unter aktiver Miteinbeziehung der rund 50 Anwesenden – die den Boden bereitete und Hintergründe aufzeigte für die nachfolgende Lesung verschiedener Abschnitte aus dem Buch. «Das Buch ist für Sprachverliebte ein absoluter Genuss», beschrieb Schär den Roman, und die später vom Schriftsteller vorgelesenen Passagen vermochten diese Aussage vollauf zu bestätigen.

Beim Sargmacher

In seinem Buch verarbeitet Ammann seinen Liebesmangel durch den frühen Tod seiner Mutter und die Schwierigkeiten seines Vaters Gottfried, seinen Kindern gegenüber Gefühle zu zeigen. Die köstlich und manchmal auch derb skizzierten Personen agieren vor einem Bilderbuch von Szenen aus der handwerklich geprägten und etwas bigotten, kleinbürgerlichen Altstadt von Wil, im Buch «Tugutswil» genannt.

Eine Untersuchung von Rekruten durch den Stabsoberarzt und die 40 Millionen Tote fordernde Spanische Grippe thematisierte er darin ebenso wie die Arbeit der Freunde Gottfried und Jonas bei einem Kaminkehrer und einem Sargmacher. Groteske Szenen – wie das Strecken von Toten, um sie in den Sarg zu bekommen – wechselten sich ab mit Passagen, die man sich ihrer Bildsprache wegen im Mund zergehen lassen konnte, wie «Zahnbürsten, die wie Trockenblumen in ihren Gläsern standen», oder «Fine glühte wie eine Pfingstrose» – die gleiche Fine, die er auch als «knuffiges Tönnchen» bezeichnete oder von der er schrieb: «Sie war bis an die Kinnstachelhaare zugeknöpft.»

Hohes sprachliches Niveau

Max Peter Ammann, geboren 1929 an der Wiler Marktgasse 74, hat sich als Theater- und Filmregisseur einen Namen gemacht, unter anderem in Basel, Zürich, Berlin und München. Beim Schweizer Fernsehen war er von 1976 bis 1991 Leiter der Abteilung Dramatik, und er wurde zweimal mit dem Zürcher Fernsehpreis ausgezeichnet.

«Es war immer das Publikum, das mich interessierte, auch die frechen Zwischenrufe. Die Summe des Publikums ist oft besser als der Autor», erklärte er und beschrieb, wie er in seinem Buch zuerst auf 1200 Seiten therapeutisch seine Kindheit verarbeitete, und wie ihm schliesslich beim Reduzieren auf rund ein Viertel viele Zusammenhänge klar wurden. Dialog und Lesung verwoben sich zu einem faszinierenden Rückblick in Wils Vergangenheit in einer Generationengeschichte auf einem hohen sprachlichen Niveau. Nach der Lesung meinte Ammann gegenüber der Wiler Zeitung: «Es war für mich ganz speziell spannend, mein Buch hier in Wil vorzustellen, und ich habe mich sehr über die Reaktionen aus dem Publikum gefreut.»