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Ostschweiz
Wil
Urne statt Bürgerversammlung: Das hat Auswirkungen auf die Verfahrensweise, aber auch auf die Meinungsbildung. Das Gemeindegesetz setzt die Leitplanken, den Gemeindebehörden bleibt jedoch, gerade im Bereich der Sachvorlagen, beachtlicher Spielraum.
Die Gemeinden der Region sitzen im selben Boot: Sie müssen die Meinung der Stimmberechtigten unter Verzicht auf die üblichen Bürgerversammlungen einholen. Das Veranstaltungsverbot des Bundes gilt auch für die Kommunen. Die meisten Gemeinden folgen der Empfehlung der St. Galler Regierung und führen Urnenabstimmungen durch, wobei diese regional von einer Mehrheit auf den 19. April angesetzt wurden. Denn Abstimmungen über (Investitions-)Budgets und Steuerfüsse lassen keinen Aufschub zu. Etwas mehr Zeit bleibt vor disem Hintergrund jenen Gemeinden, die getrennte Rechnungs- und Budgetversammlungen durchführen. Ein Beispiel dafür ist Flawil, wo der Voranschlag fürs Folgejahr jeweils im Herbst verabschiedet wird. Die Urnenabstimmung über die Rechnung 2019 war auf das nun abgesagte Abstimmungsdatum vom 17. Mai angesetzt.
Unterschiedlich handhaben die Gemeinden die Beschlussfassung über die Sachgeschäfte, die für die Bürgerversammlungen traktandiert waren. Zuzwil etwa lässt über den Ausbau der Tagesstrukturen an der Urne abstimmen. Oberbüren holt die Kredite für den Gemeindehausumbau und die Strassensanierungen genauso über die Stimmzettel der Bürgerschaft ein wie Jonschwil das Okay für den Durchlass des Schwarzenbachs. Dagegen hat die Oberstufenschulgemeinde Sproochbrugg in Niederhelfenschwil den Entscheid über die Beleuchtungserneuerung aufs nächste Jahr verschoben.
«Wenn ausserordentliche Verhältnisse die Durchführung einer Bürgerversammlung verunmöglichen, ordnet der Gemeinderat über unaufschiebbare Geschäfte die Urnenabstimmung an», sagt Alexander Gulde, Leiter des kantonalen Amts für Gemeinden. Wobei die Definition des Begriffs den Gemeindebehörden Spielraum lasse. Als Kriterien für die Beurteilung der Dringlichkeit nennt Gulde etwa die Komplexität eines Geschäfts, aber auch den Nutzen eines zeitnahen Entscheids, beziehungsweise der mögliche Schaden eines Aufschubs. Grundsätzlich gelte, sagt Gulde:
«Verbindliche Regelungen gibt es nur in Bezug auf die Rechnung, das Budget und den Steuerfuss.»
Keine Gelegenheit für Diskussionen, keine Möglichkeit, Anträge zu stellen – der Urnengang als Alternative zur Bürgerversammlung bringt Nachteile. Gulde relativiert allerdings. Die politische Auseinandersetzung und Meinungsbildung könne auch vorgängig über die Medien oder andere Publikationen erfolgen. Da seien nicht zuletzt die Ortsparteien gefordert, sagt er.
Diesbezüglich aktiv geworden ist beispielsweise die SVP Zuzwil. Sie empfiehlt der Bürgerschaft die Ablehnung der beantragten Steuerfussreduktion von 87 auf 82 Prozent. Die Partei befürchtet, dass die juristischen und natürlichen Personen den budgetierten Steuerertrag aufgrund der Pandemie nicht erbringen können.
Eine weitere Möglichkeit zur Einflussnahme sieht Alexander Gulde – vorausgesetzt die Zeit erlaubt es – im direkten Anschreiben des Gemeinderats. Wenngleich keine Verpflichtung bestehe, allfällige Anträge auch zur Abstimmung zu bringen.
Fakt ist, dass die Zeit drängt. Wobei sich der Zeitdruck nicht auf die Auseinandersetzung mit den Vorlagen beschränkt. Auch die Gemeinden stehen unter Termindruck. «Es sind Fristen einzuhalten», sagt Alexander Gulde. Spätestens bis zum 9. April muss das Abstimmungsmaterial in jenen Gemeinden zugestellt sein, in denen der Urnengang am 19. April stattfindet. Wobei es vielerorts nur um die Stimmzettel und die neuen Stimmrechtsausweise gehe: «Die Abstimmungsbotschaften müssen kein zweites Mal versandt werden, der Bürgerschaft jedoch zur Verfügung stehen: physisch oder zusätzlich als Download auf der Website der Gemeinde», sagt Gulde.
Die Stimmausweise für die Bürgerversammlungen sind übrigens nicht für die Urnenabstimmung gültig und können entsorgt werden.