TOGGENBURG. Obschon einige Gemeinden Mühe bei der Suche nach jungen Hausärzten haben, sieht der Präsident des Toggenburger Ärztevereins die medizinische Grundversorgung in der Region künftig nicht in Gefahr. Gemeinschaftspraxen können seiner Ansicht nach eine Alternative sein.
Der Hausarzt gilt als Vertrauensperson und Institution im Dorf. Doch dieses traditionelle Rollenbild könnte zunehmend ins Wanken geraten, weil in verschiedenen Gemeinden Engpässe in der medizinischen Grundversorgung befürchtet werden. Der Toggenburger Ärzteverein beurteilt die Situation differenziert. «Bis jetzt ist die Hausarztversorgung immer noch sehr gut gewährleistet», sagt Präsident Daniel Güntert, der als Facharzt eine eigene Praxis für Innere Medizin und Lungenkrankheiten in Wattwil führt. In den nächsten 5 bis 10 Jahren erreichen einige seiner langjährigen Berufskollegen das Pensionsalter. Bis jetzt sei es aber immer wieder gelungen, junge Ärztinnen und Ärzte zu finden, sagt Güntert. «Dabei ist ein Trend zu Gemeinschaftspraxen zu beobachten.» Dieses Modell, wie es etwa in Nesslau oder Ebnat-Kappel umgesetzt wurde, habe grosse Vorteile, betont der Präsident des Ärztevereins. «Voraussetzung dafür ist eine optimale Zusammenarbeit aller Beteiligten.» Für das Toggenburg ist Daniel Güntert zuversichtlich, dass in Zukunft vermehrt solche Lösungen gefunden werden. «Ich befürchte deshalb in den nächsten 10 Jahren keinen ernsthaften Hausärztemangel.»
In den einzelnen Regionen ergibt sich ein unterschiedliches Bild. Eine Lücke in der ärztlichen Versorgung besteht nach der Pensionierung des langjährigen Mogelsberger Arztes Heinz Fluck in der Gemeinde Neckertal. Für dessen Praxis konnte unterdessen ein junger Nachfolger gefunden werden, der allerdings erst im Frühling oder Sommer 2015 einsteigt. Weil der einzige ansässige Hausarzt Matthias Schmid überlastet ist, soll im Gemeindehaus St. Peterzell eine Gemeinschaftspraxis mit mehreren Ärzten realisiert werden. «Damit wollen wir die hausärztliche Versorgung im Neckertal sicherstellen», sagt Gemeindepräsidentin Vreni Wild.
Einen Schritt weiter ist man in dieser Hinsicht in Ebnat-Kappel. Engagierte Bürger gingen bereits 2010 neue Wege und setzten dazumal die Idee einer genossenschaftlichen Gemeinschaftspraxis um. Dabei gründeten sie eine Genossenschaft, die wiederum eine Liegenschaft erwarb. Ein Interessent kann so eine komplett eingerichtete Praxis inklusive digitalem Röntgen, Ultraschall und Computersystem mieten, ohne selber investieren zu müssen. Dank dieser Strukturen konnte ein junger Hausarzt gefunden werden, hingegen ist die Nachfolge Andreas Rohners, der 2016 in Pension geht, noch nicht geklärt. Das erfolgreiche Ebnat-Kappler Projekt hat unterdessen in Lichtensteig Interesse geweckt. Eine Arbeitsgruppe beschäftigte sich während der Zukunftskonferenz intensiv mit der Thematik. Etwas Ähnliches könnte nach deren Vorstellung auch dereinst im Städtli entstehen.
Dass trotz aller Anstrengungen nicht mehr alle Vakanzen sofort besetzt werden können, überrascht Daniel Güntert wenig. «Allgemein ist bei jungen Ärztinnen und Ärzte eine Einzelpraxis im ländlichen Gebiet weniger erstrebenswert als früher.» Die Belastung und Verantwortung sei offenbar vielen zu gross. «Oder Medizinstudenten entscheiden sich für eine Karriere in der Wissenschaft.» Zudem werden vermehrt Teilzeitarbeit oder partnerschaftliche Organisationsformen bevorzugt, wo die gegenseitige Vertretung einfacher gelöst werden könne, erläutert er. «Wie in anderen Berufsgattungen auch ist heute vor allem bei Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein zentrales Thema.»
Laut Daniel Güntert fehlt es jedoch nicht grundsätzlich an Nachwuchs. Es gebe durchaus noch jüngere Kolleginnen und Kollegen, die Freude am Hausarztberuf hätten. «In diesem Zusammenhang ist es Aufgabe der Politik, die Grundversorgung effizient und glaubwürdig zu unterstützen.» Dies sei nicht immer der Fall, gibt Güntert zu bedenken. Er erwähnt als aktuelle Beispiele die Medikamentenabgabe und Labortarife. Der Präsident des Toggenburger Ärztevereins sieht darüber hinaus noch andere Anzeichen für das fehlende politische Bewusstsein beim Bund. Anders könne er sich nicht erklären, dass die Schweiz Modelle wie die Fallkostenpauschale oder Managed Care übernehme, die sich im Ausland nicht bewährt hätten.
Die kantonale Ärztegesellschaft ist aber auch von sich aus aktiv geworden. Zusammen mit dem Kantonsspital wurden Aus- und Weiterbildungszyklen für Grundversorger geschaffen. Dazu gibt es Hilfestellungen bei der Vorbereitung oder Übernahme einer eigenen Praxis.
Der Ärzteverein sieht verschiedene Möglichkeiten, in Zukunft die medizinische Versorgung in den Gemeinden des Toggenburgs sicherzustellen. Nebst den Gemeinschaftspraxen kommen für den Präsidenten noch andere Alternativen wie die Einzelpraxis in Frage. Jedes Modell habe seine Vor- und Nachteile, die jeder Betroffene für sich selber abwägen müsse. Er halte es aber nicht für sinnvoll, wenn gewisse Praxisformen einseitig unterstützt würden, sagt Daniel Güntert. «Gleichzeitig dürften etwa Einzelpraxen keinesfalls als veraltete Auslaufmodelle verunglimpft werden.» Die medizinische Grundversorgung sei eine über Jahrzehnte entwickelte Errungenschaft, die sich sehr bewährt habe, gibt der Facharzt zu bedenken. «Wir müssen dem Sorge tragen.»