Kantonsarchäologe ist begeistert: «Alles andere als Dutzendware»

Die ehrenamtliche Suche mit Metalldetektoren hat sich gelohnt: Dank Münzenfunden aus keltischer und römischer Zeit könne die archäologische Geschichte von Wilen bei Wil nun um 2000 Jahre zurückdatiert werden, sagt der Thurgauer Kantonsarchäologe Urs Leuzinger.

Richard Clavadetscher
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Der Thurgauer Archäologe Urs Leuzinger und Daniela Wiesli beim Begutachten der Wilener Funde. Bilder: Richard Clavadetscher

Der Thurgauer Archäologe Urs Leuzinger und Daniela Wiesli beim Begutachten der Wilener Funde. Bilder: Richard Clavadetscher

Urs Leuzinger, wie oft klopfen Leute an und wollen etwas abliefern?

Wir haben zwei Arten von «Kunden»: Jene, die zufällig etwas finden. Das sind meist Bauarbeiter – Poliere, die sich melden, weil sie zum Beispiel beim Baggern etwas fanden. Das ist rund ein- bis zweimal pro Monat der Fall.

Und die anderen Leute?

Die anderen Leute sind unsere freiwilligen Mitarbeiter, inzwischen fast hundert. Da kann man sich vorstellen, dass es mindestens ein- bis zweimal pro Woche zu einem Kontakt mit einem von ihnen kommt – sei es wegen eines Fundes oder wegen einer Frage, die sie an mich richten.

Die sogenannten Sondler? Sind sie eine Randerscheinung?

Nein, ganz und gar nicht. Von den genannten rund hundert Freiwilligen ist der grösste Teil als Sondler, also mit dem Metalldetektor, unterwegs. Ihnen sage ich immer, sie hätten auch noch zwei Augen, um etwa Keramik oder Steinwerkzeuge zu entdecken, sie sollten sich nicht nur auf Metallfunde fixieren.

Wie stehen denn die Archäologen den Sondlern gegenüber?

Das wird unterschiedlich gesehen in unserer Zunft. Es gibt Kantone, die sind sehr restriktiv, die halten wenig von diesen Sondlern, die machten eh nur alles kaputt. Im Thurgau sind wir relativ liberal. Wir schauen, dass diese Leute hier wohnen, einen Bezug zum Kanton haben und nicht straffällig sind, wenn wir eine Bewilligung erteilen. Mit dieser Praxis haben wir gute Erfahrungen gemacht. Sehen Sie, ich bin Sohn eines Hobbyarchäologen, und deshalb weiss ich, wie wertvoll deren Arbeit ist, wenn sie in enger Zusammenarbeit mit uns Profis erfolgt

Besteht nicht auch die Gefahr des unsachgemässen Umgangs mit Fundstellen und Funden?

Selbstverständlich ist es nicht erlaubt, auf bereits entdeckten Fundstellen zu suchen. Das ist tabu. Wir lassen Freiwillige nur in Gebiete, die archäologisch noch weisse Flecken sind auf der Karte. Und diese Freiwilligen bilden wir aus, bevor sie ihren Ausweis bekommen. Suchen ohne Ausweis ist strafbar und übrigens kein Kavaliersdelikt. Das weiss eine breite Öffentlichkeit spätestens, seit der Walliser Polizeikommandant in der Türkei deswegen ins Gefängnis kam.

Daniela Wiesli hat Ihnen soeben Funde abgeliefert. Was sieht nun der erfahrene Archäologe auf den ersten Blick? Ist das nur Dutzendware oder ist es mehr?

Die römische (links) und die keltische Silbermünze. Beide sind dank Metalldetektoren im Untergrund von Wilen gefunden worden.

Die römische (links) und die keltische Silbermünze. Beide sind dank Metalldetektoren im Untergrund von Wilen gefunden worden.

In diesem Fall ist es ganz sicher keine Dutzendware. Bis anhin hatten wir aus der Gemeinde Wilen bei Wil praktisch nichts. Nun haben wir dank Daniela Wiesli eine römische Münze und sogar noch eine keltische Silbermünze. Wir können also die Ortsgeschichte von Wilen archäologisch um 2000 Jahre zurückdatieren. Dies zeigt, dass man auch heute noch Dinge finden kann, die einerseits der Wissenschaft, anderseits auch der Bevölkerung, in diesem Fall ja der Ortsgeschichte von Wilen, wichtige Informationen liefern können

Durch diese Ablieferung wird Daniela Wiesli nun aber nicht reich ...

Das ist so. Freiwillige Mitarbeiter haben kein Anrecht auf Finderlohn, und Eigentümer des Gefundenen ist der Kanton. Wenn Sie zufällig etwas finden, etwa eine Goldmünze, hätten Sie laut Zivilgesetzbuch aber Anrecht auf einen angemessenen Finderlohn.

Wenn es nichts gibt für einen Fund, könnte ein Sondler auf die Idee kommen, seinen Fund im Internet meistbietend zu verhökern.

Unsere Leute tun so etwas nicht. Ihnen ist vor allem wichtig, etwas über die Vergangenheit des Thurgaus in Erfahrung zu bringen. Wenn es aber jemand macht, wird er von Amtes wegen verzeigt und hat die Polizei im Haus. Das ist mehrfach passiert.

Was passiert nun mit diesen Funden? Verschwinden sie jetzt einfach in den grossen Schubladen des Thurgauer Amts für Archäologie?

Die Funde von Daniela Wiesli werden zuerst einmal in unserem System erfasst. Wir ordnen jeden Fund der Zeit zu, in der er entstanden ist, machen vielleicht eine Materialanalyse, fotografieren ihn. Im Falle der beiden Münzen wird es sicher auch eine Fundmeldung geben im Jahrbuch Archäologie Schweiz, wo jährlich die wichtigsten Funde im Land veröffentlicht werden.

Die Vergangenheit von Wilen ans Licht holen

Wilen bei Wil hat Glück. Zwar haben auch andere Gemeinden und Dörfer ihre Chronisten und Hobbyhistoriker, Wilen bei Wil aber hat mehr: Die Gemeinde hat Daniela Wiesli und mit ihr eine Person, die sich ebenso sachkundig wie akribisch mit der Vergangenheit der Kommune beschäftigt. Dabei ist Daniela Wiesli selbst «Ur-Wilenerin»: Das Geschlecht ist in Wilen beheimatet, sie ist dort aufgewachsen und nach einigen Jahren in der Fremde wieder an diesen Ort ihrer Vorfahren zurückgekehrt. Sie kennt also die Leute im Dorf und hat inzwischen auch über Wilen publiziert: «Wilen bei Wil – Ein Dorf erinnert sich». Ihr Buch ist oral history im besten Sinn: Es porträtiert Einwohnerinnen und Einwohner und erzählt deren persönliche Geschichte.

Was Daniela Wiesli von vielen anderen Dorfchronisten und Hobbyhistorikern unterscheidet, ist die «fachliche Unterfütterung»: Von Haus aus Übersetzerin, studierte sie danach Modern History an der London Guildhall University und bildete sich zur Tutorin der Nautical Archaeology Society weiter. Seit 2004 ist sie Leiterin der Kontaktstelle für Unterwasserarchäologie SUSV und seit 2006 Fachreferentin an der Universität Zürich.

Wiesli hatte das Glück, von den Erben des 1991 verstorbenen Gottfried Peter, quasi ihres Vorgängers als Gemeindechronist, jenen Teil des Nachlasses zu bekommen, der sich mit Geschichte und Chronik von Wilen befasst. Nicht weniger als 50 Bundesordner seien das gewesen – grösstenteils ungeordnet und auf Bearbeitung wartend. Wiesli hat sich nicht nur dieses Nachlasses angenommen, sondern sich auch entschlossen, Gottfried Peters Arbeit weiterzuführen.

Die Geschichte der Gemeinde Wilen sei bis ins frühe 14. Jahrhundert zurück schriftlich dokumentiert, sagt Wiesli. Und weil sie sich damit nicht abfinden will, suchte sie, ausgestattet mit ihrem Wissen über Unterwasserarchäologie, auf für sie deshalb naheliegendem Weg nach der noch im Dunkeln liegenden Vergangenheit ihres Heimatorts: auf archäologischem Weg eben. Wiesli beschränkt sich indes nicht auf Ausgrabungen. Bereits seit Mai untersuchte sie zusammen mit Prospektoren und ihren Metalldetektoren unter anderem den Untergrund eines alten Hauses im Dorfzentrum Wilen sowie Gebiete südlich des Dorfes.

Dies tönt übrigens einfacher als es ist, denn dafür braucht es Bewilligungen: vom Kanton ebenso wie von den von der Prospektion betroffenen Grundstückbesitzern.

Die Prospektion nun hat sich gelohnt: Neben etlichem Schrott aus vergangener Zeit förderten die Sondierer auch historisch Bedeutendes zutage. Solche Funde sind bekanntlich dem Kanton, dem Amt für Archäologie, zu melden und gegebenenfalls abzuliefern. Dieser Pflicht ist Daniela Wiesli nun nachgekommen.