Als Gastregion am Stadtfest vertreten, wollte Wils polnische Partnergemeinde Dobrzen Wielki neben kulturellen auch kulinarische Spezialitäten nach Wil bringen. Doch die Bestimmungen des Schweizer Zolls drohten den Brei zu verderben. Nun wird die Kelle neu in die Hand genommen.
WIL. «Bigos» ist ein Eintopfgericht, bestehend aus gedünstetem Sauerkraut, verschiedenen Fleisch- und Wurstsorten, Trockenpilzen und Tomatenkonzentrat. Und «Bigos» gehört zur schlesischen Küche wie der Deckel auf den Topf. Wils polnische Partnergemeinde Dobrzen Wielki in Oberschlesien, dieses Jahr als Gastregion am Wiler Stadtfest präsent, möchte der hiesigen Bevölkerung ihre Spezialitäten näherbringen: Neben «Bigos» sind dies beispielsweise Weisskohlrouladen, Erbsensuppe, Würste, Salzgurken sowie zwei verschiedene Hefekuchen. Die Speisen hätten in Polen zubereitet und danach mit einem Kühlwagen nach Wil gebracht werden sollen. Nun kommt alles anders. Und das liegt vor allem an einer Zutat, die offensichtlich nur sehr schwer zu bekommen ist: die Einfuhrbewilligung des Schweizer Zolls.
«Der Teufel liegt im Detail», sagt Rolf Benz und blättert in seinem Ordner, der im Verlauf der Vorbereitungszeit für das Stadtfest immer dicker geworden ist. Benz ist Delegierter der Stadt Wil in der Partnerschaft mit Dobrzen Wielki und unterstützt die Polen bei der Organisation ihrer Darbietungen hier in Wil. So auch in der Angelegenheit «schlesische Küche». Aus seinem Ordner nimmt Rolf Benz ein Dokument hervor. «Jede mitgebrachte Kelle, jedes Küchensieb, jede Pfanne muss aufgelistet werden», erklärt er. Doch das sind erst die festen Materialien. Schwierig wird es bei den Esswaren. Sie müssen auf dem Papier in ihre Einzelteile zerlegt werden. So verlangt es der Schweizer Zoll. Die Polen hätten also genau deklarieren müssen, wie viel Fleisch und Wurst oder wie viele Trockenpilze in den 50 Kilogramm «Bigos», die sie mitbringen wollten, vorhanden ist, und was deren Wert in Schweizer Franken ist. Auch muss jeweils aufgelistet sein, was wieder ausgeführt wird.
Dann kam aus, dass die zubereiteten Speisen zwecks Stichprobenerhebung schon drei Tage vor der Einfuhr in die Schweiz beim Zoll abgeliefert werden müssen. Diese Tatsache brachte den Topf zum Überlaufen. Es galt, eine Entscheidung zu treffen: Entweder muss auf die schlesische Küche am Stadtfest verzichtet werden oder es muss eine neue Lösung her. «Das ganze aufzugeben kam für uns nicht in Frage, denn wir haben schon so viel Zeit investiert», sagt Rolf Benz. Er selbst hatte im Vorfeld das Transportunternehmen Holenstein um Rat ersucht. Dieses wiederum nahm mit dem Schweizerischen Zoll Kontakt auf und klärte ab, welche Dokumente vonnöten sind. Verlangt wurde beispielsweise auch ein Schreiben der Stadt Wil – unterschrieben von der Stadtpräsidentin – worin bescheinigt wird, dass Dobrzen Wielki als Gastregion am Stadtfest eingeladen ist. Zuletzt wurde noch ein polnischer Zollagent ins Boot geholt.
Als jedoch klar wurde, dass die Lage aussichtslos ist, suchte man nach einer Alternative. Diese steht jetzt: Statt erst heute, kam die polnische Gastronomiegruppe bereits am Mittwoch in Wil an. Mitgebracht hat sie nur jene Materialien, die am Zoll keine grösseren Probleme bereiten. Der Rest der Zutaten wird in der Schweiz besorgt. Heute schwingt das Küchenpersonal aus Dobrzen Wielki die Kochlöffel, und zwar in der Küche der Psychiatrischen Klinik. Diese hat sich kurzfristig bereit erklärt, den Polen die Infrastruktur für die Zubereitung ihrer schlesischen Spezialitäten zur Verfügung zu stellen. «Ich bin frohen Mutes», sagt Rolf Benz.
Auch ein Korbflechter aus Dobrzen Wielki will sein Handwerk am Stadtfest präsentieren. Er plante ursprünglich, mit einem eigenen Auto anzureisen. Nun sieht er davon aber ab. Er fährt – zusammen mit über 50 anderen Personen – im Reisecar und nutzt den noch freien Platz darin für seine Weidenkreationen, die er selbstverständlich für den Zoll auflistet.
Welche Überraschungen dann an der Schweizerischen Landesgrenze noch auflauern, wird sich zeigen. Erfahrungsgemäss werde der Reisecar aus Polen «auseinandergenommen», sagt Rolf Benz. «Das war schon öfter so, wenn die Partnergemeinde zu uns auf Besuch kam.»