Startseite
Ostschweiz
Wil
Das hochansteckende Masernvirus geht um in der Schweiz. Nur eine Impfung bietet Schutz. Bei Minderjährigen braucht es die Zustimmung der Eltern. Bei Erwachsenen geht das Impfen eher vergessen, wie eine Umfrage bei lokalen Ärzten zeigt.
Masern sind wieder auf dem Vormarsch. Seit Anfang Jahr sind in der Schweiz mehr als 160 Personen erkrankt, zwei davon sogar verstorben. Einzig eine Impfung bietet Schutz vor der hochansteckenden Viruserkrankung (siehe Kastentext). Dem stehen jedoch einige Personen kritisch gegenüber und verweigern mitunter das Impfen komplett.
«Wenn sich jemand nicht impfen lassen möchte, dann respektiere ich das.»
Das sagt die Wiler Komplementärmedizinerin Yvonne Gilli. Als solche begegne sie häufig impfkritischen Patienten. Die Kontrolle des Impfbüchleins gehört bei ihr zur Konsultation dazu. Im Gespräch versuche sie dann herauszufinden, warum ein Patient impfkritisch ist. Geht es zurück auf einen Aberglauben, eine Falschinformation oder gab es in der Familie Impfkomplikationen? «Aufgrund dieser Informationen berate ich die betreffende Person individuell», sagt Gilli. Sie verfügt über einen schulmedizinischen Facharzttitel in Allgemeiner Innerer Medizin FMH und Ausbildungen in klassischer Homöopathie und in traditioneller Chinesischer Medizin.
Die Krankheit Masern wird durch den gleichnamigen Virus ausgelöst. Dieser wiederum ist hochansteckend und wird per Tröpfcheninfektion wie etwa durch Husten oder Niesen übertragen. Die Krankheit verläuft in zwei Schüben: 7 bis 18 Tage nach der Infektion treten Fieber, Müdigkeit, Bauchschmerzen, Lichtscheu, und Entzündung der Schleimhaut im Mund auf, meist in Begleitung von Husten, Schnupfen und Halsschmerzen, wie auf der Webseite des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aufgeführt ist. Zwei bis vier Tage nach Beginn der ersten Symptome tritt dann zusätzlich der prominente Hautausschlag auf. Unkomplizierte Fälle heilen rasch und ohne bleibende Folgen.
Jedoch besteht die Gefahr von Komplikationen wie einer Hirnentzündung (1 auf 1000 Fälle), Lungenentzündung (10 bis 60 auf 1000 Fälle) oder Mittelohrentzündung. Diese Komplikationen können gemäss BAG gelegentlich zum Tod führen.
Masern ist keine Kinderkrankheit an sich. Erwachsene, die nicht geimpft sind oder die Masern nie durchlebt haben, können daran erkranken. Gemäss BAG entwickeln Erwachsene dabei häufiger Komplikationen.
Ein Heilmittel für Masern existiert nicht, nur die Symptome können gelindert werden. Als Vorbeugung empfiehlt das BAG eine Impfung in zwei Dosen. Der Schutz währt bei den meisten Personen ein Leben lang. Mit einer Impfung schützt man nicht nur sich selber, sondern auch Mitmenschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. Das BAG strebt eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent an. Damit könnte die Krankheit eliminiert werden. (dh)
Wird eine Impfung abgelehnt, informiert Gilli den Patienten, welche Konsequenzen die Entscheidung hat. Eine nicht geimpfte Person kann beispielsweise die Krankheiten an andere übertragen. So gefährdet der Patient nicht nur sich selber, sondern auch Personen in seinem Umfeld. Zu bedenken gibt Gilli, dass einige Menschen nicht geimpft werden können, etwa Säuglinge oder Personen mit chronischen Erkrankungen.
«Eine Impfung ist ein Medikament. Wie jedes andere hilft es, es kann aber auch Komplikationen geben», sagt Gilli. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind schwere Impfkomplikationen jedoch um ein Vielfaches seltener als schwere Komplikationen der Masern selbst. Zudem treten gemäss BAG Masernkomplikationen wie Lungen- oder Hirnentzündungen bei Erwachsenen häufiger auf als bei Kindern.
Die Kantonsschule Wil führt keine Impfaktionen durch; das Thema sei Privatsache der Schüler, da sie keine obligatorische Schule besuchen. Ähnliches ist von der Kantonsschule Frauenfeld zu vernehmen.
Die Rudolf-Steiner-Schule Wil spricht sich weder für oder gegen das Impfen aus. «Wir sind Pädagogen und keine Mediziner», sagt Karen Gruno, Präsidentin des Trägervereins. Auch hier ist Impfen Privatsache.
«Wir weisen die Eltern allerdings darauf hin, damit sie in Rücksprache mit ihrem Haus- oder Kinderarzt eine individuelle Impfentscheidung treffen.»
Zudem sei das Thema Masern nicht aktuell, «da wir in den zwei Jahren seit der Gründung keinen Fall erlebt haben». Der Dachverband habe jedoch intern informiert, wie vorzugehen sei, falls ein Kind an Masern erkrankt. «Dabei geht es darum, weitere Ansteckungen möglichst zu vermeiden.» So dürfe das kranke Kind zum Beispiel nicht in die Schule kommen, solange es ansteckend ist.
Das ist bis zum fünften Tag nach Ausbruch des Hautausschlags der Fall, wie auf der Website des St. Galler Gesundheitsdepartements zu lesen ist. Personen, welche Kontakt zu einem Masernkranken hatten und in einer Gemeinschaft- oder Gesundheitseinrichtung tätig sind, müssen 21 Tage zu Hause bleiben. Es sei denn, sie haben die Krankheit selbst durchgemacht, sind geimpft oder lassen sich innert 72 Stunden nach dem Kontakt impfen.
Wiler Schulen folgen ebenfalls diesem Massnahmenplan, wie Andres Ulmann, Wiler Departementsleiter Bildung und Sport erklärt. So sind während der Volksschulzeit drei schulärztliche Untersuchungen vorgesehen: bei Schuleintritt, in der 5. Klasse und bei Schulaustritt. «Dabei klären die Schulärzte die Eltern auch über den Schweizerischen Impfplan und die fälligen oder nachzuholenden Impfungen auf», sagt Ulmann. Dafür brauche es aber die elterliche Zustimmung. Die Untersuchung sowie allfällige Impfungen seien kostenlos.
Aber eigentlich ist die Masernimpfung für Kinder im Alter von neun bis zwölf Monaten vorgesehen, wie den Schweizer Impfempfehlungen zu entnehmen ist. Dafür sind zwei Dosen nötig, die als kombinierte Masern-Mumps-Röteln-Impfung (MMR-Impfung) verabreicht werden. In der Schweiz sind 87 Prozent der Zweijährigen vollständig geimpft und 93 Prozent der 16-Jährigen, wie auf der Website des BAG aufgeführt ist. Für eine Elimination der Krankheit müssten jedoch mindestens 95 Prozent aller Personen geimpft sein.
Nachimpfungen im Rahmen der obligatorischen schulärztlichen Untersuchungen werden aber durchaus in Anspruch genommen, wie Andreas Diethelm, Schularzt der Primarschule Uzwil, sagt. Rund zwei Drittel der Kinder, die er betreut, würden von den Eltern zu Impfungen angemeldet. Bei der MMR-Impfung im Speziellen beobachte er seit Jahren, dass eine unvollständige oder fehlende Grundimmunisierung im Primarschul- oder gar im Oberstufenalter noch nachgeholt wird. Diethelm sagt:
«Von meinen eigenen Patienten weiss ich, dass viele Eltern die Kinder in der Schule impfen lassen, weil sie es so erlebt haben.»
Ein weiterer Grund sei, dass einige Kinder selbst mit ihren Klassengspänli am gleichen Tag zum Schularzt gehen wollen.
Andreas Hohl, Schularzt der Oberstufe Flawil, erhält jedes Jahr pro 8. Klasse eine Lektion zur Verfügung. In diesem Rahmen informiert er die Schüler über die wichtigsten Krankheiten, gegen welche man sich mit einer Impfung schützen kann. «In diesem Kontext soll den Jugendlichen auch klar werden, dass die Impfungen gegen Masern und Röteln wie auch gegen andere Krankheiten nicht nur einen persönlichen Schutz geben, sondern auch einen solidarischen Charakter haben», sagt Hohl.
Derweil wünscht sich Diethelm mehr Initiative der Schulen. Obwohl die Uzwiler Schulärzte im regelmässigen Austausch mit den Schulbehörden stünden, würden ihre Sorgen über die mangelnde Impfdisziplin nicht soweit geteilt, als dass die Schule aktiv die Klassen und Elternorganisationen informieren würde. Eine Klassenstunde zum Thema Impfen hält er aber auch nicht für zielführend, «da das kantonale Schularztamt auch von Oberstufenschülern die Einwilligung der Eltern in schulärztlichen Massnahmen verlangt».
Wie die Zahlen des BAG zeigen, steigt die Durchimpfungsrate bei Masern mit zunehmendem Alter. Bei Erwachsenen hingegen kann das Impfen eher zu kurz kommen:
«Ein gesunder Erwachsener geht in der Regel nicht zum Arzt und erhält deshalb auch keine Impfempfehlungen.»
Das sagt die Komplementärmedizinerin Gilli. Einen jährlichen Gesundheitscheck empfiehlt sie aber nicht. «Dies wäre eine Überversorgung, der die Gesundheitskosten ansteigen lässt.» Vielmehr sollten Informationen niederschwellig zur Verfügung gestellt werden, sodass die Leute ihnen in ihrem Alltag begegnen. Als Beispiel nennt sie die Möglichkeit, sich in Apotheken impfen zu lassen: «Dies ist für viele einfacher, als einen Termin beim Arzt zu vereinbaren.»