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Die Triathletin Barbara Scherrer hat vor zweieinhalb Wochen den traditionsreichen Ironman auf Hawaii absolviert und wurde Zweite in ihrer Altersklasse. Im Interview spricht die 31-Jährige über eines der härtesten Rennen der Welt, ihre Revanche und erklärt, warum sie kein Profi sein will.
3,86 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren, ein Marathon über 42,195 Kilometer rennen, und das alles nacheinander: Für viele Menschen ist der klassische Ironman, ein Langdistanz-Triathlon, der Inbegriff für die Floskel «Sport ist Mord». Zu Wasser wie zu Lande quälen sich die Athleten während mehrerer Stunden ins Ziel, erreichen dabei ihre körperlichen Grenzen. Doch trotz der extremen Belastungen ist der Ironman beliebt. Über hundert Rennen werden pro Jahr über den Globus verteilt organisiert.
Der jährliche Höhepunkt findet dabei im Pazifik statt; seit 40 Jahren wird jeweils im Oktober der Ironman auf Hawaii durchgeführt. Für die meisten Triathleten gilt das Rennen als der «heilige Gral» der Sportart. Die Schweiz ist oftmals prominent vertreten, stellt mit Natascha Badmann oder aktuell Daniela Ryf mehrfache Siegerinnen. Dieses Jahr gingen unter den 2300 Athleten auch Urs Schiess und Barbara Scherrer aus Niederuzwil an den Start. Während es für Schiess die Premiere bedeutete, war es für Partnerin Scherrer die zweite Teilnahme. Die 31-jährige Uzwilerin und Oberstufenlehrerin hatte dabei noch eine Rechnung offen.
Barbara Scherrer, Sie sind seit zwei Wochen zurück in der Schweiz, seit einer Woche wieder im Schulzimmer. Haben sie noch Muskelkater?
Physisch geht es mir gut, auch wenn ich noch lange mit dem Jetlag zu kämpfen hatte. Doch im Kopf bin ich eigentlich schnell wieder im Alltag angekommen.
Wie präsent ist Hawaii noch?
Der Ironman ist immer noch sehr nahe und doch schon so fern. Im Vergleich zu meiner Premiere vor fünf Jahren lege ich dieses Mal jedoch eine Auszeit im Training ein. Ich arbeite 100 Prozent als Lehrerin und habe in diesem Jahr daneben oft und viel trainiert, bin auch samstags und sonntags früh aufgestanden. Nun, nachdem ich 15 Jahre jede Woche fast ohne Pause 10 bis 25 Stunden trainiert habe, gönne ich meinem Körper ein bisschen mehr Ruhe.
Dieses Jahr hatten Sie sich kurzfristig entschieden, die Hawaii-Qualifikation erneut in Angriff zu nehmen. Aus welchen Gründen?
Es war der Ehrgeiz, der mich nochmals angetrieben hat. Ich habe beim Ironman in Frankfurt im Juli meinen Partner Urs Schiess betreut, der dort Vizeeuropameister in seiner Altersklasse wurde und sich erstmals für Hawaii qualifizieren konnte. Da dachte ich mir, dass ich das auch kann. Körperlich war ich bereit, hatte intensiv trainiert. Ich meldete mich für den Ironman in Zürich an und gewann in meiner Altersklasse. Das gab mir Schub, Vertrauen und war gleichzeitig meine Qualifikation für Hawaii.
Dann kam der 13. Oktober, der grosse Tag. Wie verlief Ihr Rennen?
Mein Ziel war es, vor der einbrechenden Dunkelheit den Ironman zu beenden – und das habe ich geschafft. Ich war zwar mit positiven Gefühlen auf die Insel gekommen, trotzdem ging ich mit einer Portion Vorsicht ins Rennen. Ich wollte einfach meine Linie finden, was mir beim Schwimmen auch gelang. Der Wechsel zum Velo war zuerst mühsam, doch dann kam ich in einen Flow. Ich habe mich nach vorne gekämpft und flog regelrecht über den Teer. Beim Marathon hatte ich dann zunehmend Mühe mit der Hitze und meinem Magen, wurde überholt und musste kämpfen. Ich wollte nur noch ins Ziel.
Haben Sie eine Taktik, wie Sie sich in solch kritischen Momenten antreiben?
Ich bin ein positiv eingestellter Mensch. In solchen Momenten mache ich mir nicht so viele Gedanken, sondern funktioniere einfach, versetze mich in einen Tunnel. Viele Athleten arbeiten intensiv an der Mentalität, verfolgen eine Taktik. Selbst Urs (Schiess) investiert Zeit in das Mentaltraining. Mir wiederum reicht es, wenn ich den Fokus auf mich und den Wettkampf lege und mir zum Ziel setze, das Rennen zu beenden.
Und das haben Sie geschafft, notabene nach 9 Stunden und 43 Minuten, als Zweitbeste Ihrer Alterskategorie und als 34. unter insgesamt 608 teilnehmenden Frauen. Wie war der Moment beim Zieleinlauf?
Ich war völlig erschöpft und versuchte, wenigstens meine Arme hochzuhalten, um im Ansatz zu jubeln. Und dann, unter dem Banner, kam ein Wort in meinen Kopf geschossen: Krass. Ich war überglücklich und müde zugleich und auch stolz auf Urs, der den Wettkampf ebenfalls mit einer guten Zeit beendete. Mein Körper war malträtiert, voll von Blasen und Blessuren. Doch am Ende zählte nur der eine Gedanke; dass ich meinen Dämon von vor fünf Jahren besiegt und Revanche genommen habe.
Dieser Dämon ist 2013 bei Ihrer ersten Teilnahme auf Hawaii entstanden. Da konnten Sie den Wettkampf nicht beenden. Was lief schief?
Kurz vor Hawaii war ich in einem Trainingslager in Spanien. Dort verspürte ich plötzlich einen Juckreiz am Fuss, der auch durch Salben nicht wegging. Auf Hawaii wurde es sogar noch schlimmer, im Spital haben sie dann eine bakterielle Infektion festgestellt. Ich bin krank geworden, war ans Bett gefesselt und hatte nur wenige Eindrücke von der Insel mitbekommen. Als das Rennen losging, fühlte ich mich nicht optimal und musste daraufhin aufgeben.
Waren Sie enttäuscht?
Es war weniger eine Enttäuschung und mehr Schicksal. Mein Körper hat es mir schlicht nicht erlaubt, das Rennen zu beenden. Somit war es kein persönlicher Rückschlag. Mich hat mehr gestört, dass ich den Leuten immer sagen musste, dass ich den Ironman damals nicht beendet habe.
Warum?
Hawaii kennt jeder Triathlet, ist aufgrund seiner Tradition unbestritten in der Ironman-Szene, auch weil dort vor 40 Jahren der Sport seinen Ursprung fand. Ich finde den Ironman auf Hawaii eigentlich kein schönes Rennen. Da fährst du rauf und runter und rennst hin und wieder zurück und die Zuschauer sehen dich kaum. Aber durch seinen Mythos hat er nun mal eine grosse Bedeutung. Und darum verstehen es die Leute nicht, wenn jemand dort teilnimmt und dann aufgibt.
Stellt man sich irgendwann nicht die Frage, warum man sich so etwas überhaupt antut?
Bei mir hat es sich einfach so ergeben. Ich war immer ein Bewegungsmensch, ob im Jugendturnen, Geräteturnen, im Curling oder später beim Schwimmen und Joggen. Auch bin ich jedes Mal mit dem Velo zur Schule gefahren. Der Sport gehörte zu meinem Alltag. Als ich dann im Triathlon immer strukturierter zu trainieren begann, lernte ich auch zu leiden. So haben das Training und die harten Wettkämpfe mein Leben geprägt.
Eine Profikarriere stand nie zur Debatte?
Nein. Bis 2013 hatte ich einen Betreuer, seither trainiere ich alleine oder mit Urs. Das bekommt mir viel besser. Ich kann mein Training selbst bestimmen, muss mich nicht nach einem Plan einer anderen Person richten und kann so auf die Signale meines Körpers achten. Deswegen war ich seither auch nie mehr verletzt. Ich bleibe locker, bin bezüglich meiner Ernährung nicht zu streng und esse alles. Dann gibt es vor dem Rennen auch mal Guetzli. Wenn ich voll auf die Karte Sport setzen würde, müsste ich auf Sponsorensuche gehen, was als Triathletin in der Schweiz sehr schwierig ist, ausser du heisst beispielsweise Nicola Spirig. Darum arbeite ich hauptberuflich als Lehrerin – und bin zufrieden damit.
Wie schaffen Sie es, Arbeit, Training und Freizeit unter einen Hut zu bringen?
Mit viel Disziplin. Für mich ist das Training kein Verzicht auf etwas anderes, sondern fügt sich ideal in meinen Alltag ein. Zudem versuche ich, speditiv und effizient zu leben, damit Sport und Arbeit und Freizeit in meinem Leben problemlos koexistieren können.
Was ist nun Ihr nächstes Ziel? Der Ironman 2019 auf Hawaii?
Noch ist nichts geplant. Zuerst gönne ich mir mal die Pause. Das heisst, ich gehe auch mal wandern – oder ins Krafttraining.