Pro & Contra
Halloween: Kommerz oder toller Brauch?

Nächsten Mittwoch wird – zumindest an einigen Orten – wieder Halloween gefeiert. Ein alter keltischer Brauch, dessen Übernahme in die Schweiz kontrovers ist.

Miranda Diggelmann, Sandro Büchler, Tobias Söldi
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Gruselig geschnitzte Kürbisse sind das Halloween-Symbol par excellence. (Bild: Shaiith/Fotolia)

Gruselig geschnitzte Kürbisse sind das Halloween-Symbol par excellence. (Bild: Shaiith/Fotolia)

Das umstrittene Halloween steht wieder kurz bevor. Nächsten Mittwoch werden wie gewohnt verkleidete Kinder von Tür zu Tür ziehen und um Süssigkeiten betteln, es werden Gesichter in Kürbisse geschnitzt, Horrorfilme angesehen und Gruselpartys gefeiert – zumindest bei den Befürwortern dieses Brauches. Doch was hat es mit dem Tag vor Allerheiligen eigentlich auf sich?

Das Brauchtum war ursprünglich vor allem im katholischen Irland verbreitet. Die irischen Einwanderer in den USA wollten diese Volksbräuche weiter pflegen und bauten diese noch aus, so dass Halloween heute ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Kultur ist. Ein Brauch, der heute nicht mehr viel mit dem Christentum zu tun haben scheint. Religionsethnologe Sir James Frazer beschrieb Halloween als «altes heidnisches Totenfest mit einer dünnen christlichen Hülle». Neben der Walpurgisnacht am 1. Mai habe es sich um das zweitwichtigste Fest der Kelten gehandelt.

Eine englischsprachige Enzyklopädie leitet das Fest aus alten keltischen Bräuchen her: An Halloween wurde das Sommerende und der Einzug des Viehs in die Ställe gefeiert. Damals glaubte man, dass auch die Seelen der Toten in ihre Heime zurückkehrten. Mit Freudenfeuern auf Hügeln und Verkleidungen sollten böse Geister vertrieben werden. Daher also die gruseligen Kostüme, wenn Halloween zelebriert wird. Das Totenfest der Kelten wurde in der Kirche durch die Feste Allerheiligen und Allerseelen ersetzt. Doch wie notwendig ist die Übernahme des vor allem amerikanischen Brauchs in der Schweiz? Ist das heutige Halloween durch die Kommerzialisierung mehr schlecht als recht? Oder ist der Volksbrauch am 31. Oktober vielleicht doch nicht so ernst zu nehmen und als spassiges Fest mit Süssigkeiten und Verkleidungen zu betrachten?

Pro: Auch Bräuche verändern sich mit der Zeit. Na und?

Da, wo ich aufgewachsen bin, zogen am Tag von Silvester frühmorgens Kinder und Jugendliche durch das Dorf. Sie klopften mit Pfannendeckeln, trompeteten schräg und laut und klingelten so lange Sturm, bis man verpennt die Tür aufgemacht hat und den Störenfrieden eine kleine Süssigkeit gab. «Silvesterläuten» nennt sich der in Vergessenheit geratene Brauch. Die Rabauken wollen die Leute aufwecken, damit sie den Jahreswechsel nicht verpassen. Ein etwas unsinniger, aber ein sympathischer Brauch gleichwohl.

Halloween ist da ähnlich. Natürlich ist Halloween ein durch und durch kommerzieller Gruselspass, natürlich ist der verkaufte Plastikkram ökologisch fragwürdig und natürlich sind die Süssigkeiten ungesund für die Kinder. Na und? Lassen wir den Kindern doch den Spass. Halloween ist ein Abbild der Welt, in der wir leben. Der Mensch ist heute mobil wie nie zuvor, alles ist in Bewegung. Wir konsumieren Nahrungsmittel, die rund um den Erdball produziert wurden, kommunizieren mit in Asien hergestellten Mobiltelefonen, praktizieren indisches Yoga, schauen amerikanische TV-Serien und fliegen günstig in ferne Städte. Aber «importierte» Bräuche? Bloss nicht.

Sandro Büchler, Volontär

Sandro Büchler, Volontär

Dabei sind alle Bräuche irgendwann entstanden. Kulturwissenschafter sprechen von der «Erfindung von Traditionen». Die Ursprünge von Halloween liegen dabei nicht einmal in den USA; irische Auswanderer haben den Brauch nach Nordamerika gebracht. Ein gutes Beispiel sind auch die Räbeliechtli-Umzüge. Diese sind nicht so alt, wie manche vermuten würden. «Erfunden» wurden die Umzüge in den 1930er- und 1940er-Jahren von Lehrern und Quartiervereinen, die einen Volksbrauch etablieren wollten. Auch die Fasnacht, historisch zwar älter, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Traditionen sind wandelbar, das ganze Brauchtum ist dynamisch.

Ein Brauch ist aber nur so vital, wie er gepflegt wird. Anstatt Halloween zu verteufeln, sollten wir uns fragen, wie viel Aufmerksamkeit wir «eigenen» und «fremden» Bräuchen geben wollen. Die Frage ist nicht, ob wir Halloween wollen, sondern ob wir es brauchen. Das Gute an Halloween ist zudem, dass er verhindert, dass die Weihnachtsdekoration schon im Oktober in den Schaufenstern liegt.

Contra: Unsere Bräuche lehren Halloween das Fürchten

Was hat Halloween mit uns Schweizerinnen und Schweizern zu tun? Nicht einmal der Kürbis, das Halloweensymbol schlechthin, war in unseren Breitengraden ursprünglich heimisch. Und die besseren Alternativen zum Geisterklamauk haben wir noch dazu. Die Frage nach unserer (in)existenten Verbindung mit einem amerikanischen Brauch wie Halloween ruft historisch beflissene Verteidiger auf den Plan:

Siegessicher werfen sie Amerika-skeptischen Halloween-Kritikern die keltische Wurzel des Brauches vor die Füsse. So weit weg sei der Brauch kulturell nun auch wieder nicht. Beide verkennen das Problem: Zur Diskussion steht nicht, dass wir ein Fest aus dem fernen Amerika übernommen haben – wir leben schliesslich in einer globalisierten Welt –, sondern was wir übernommen haben.

Tobias Söldi, Redaktor

Tobias Söldi, Redaktor

Halloween ist ein säkularisiertes, konsumorientiertes und kommerzialisiertes Fest, eine weitere Gelegenheit des Detailhandels, die Regale mit unförmigen Plastik – dieses Mal mit warzenbesetzten Hexenmasken – zu füllen, eine faule Ausrede, wieder einmal verkleidet dem Korsett der Konventionalität zu entfliehen.

Denkt tatsächlich jemand im Hexenkostüm ernsthaft an die Verstorbenen? Oder beim Kürbisschnitzen an die letzte Ernte, die eingeholt ist, und die Tiere im Stall, der Bedeutung des Erntedankfestes?

Nun ist es auch nicht so, als hätten wir hierzulande keine Bräuche, die Halloween das Fürchten lehren könnten und noch dazu weit mehr mit unserer Kultur zu tun haben. Wir haben den Räbelichtli-Umzug: weniger protzig, weniger marktschreierisch, und viel sympathischer. Den Toten gedenken wir an Allerheiligen, in aller Ruhe. Das Hausieren vor den Türen kennen wir von den Sternsingern – und es ist nicht bekannt, dass einer der drei Könige je wegen Eierwerfen oder einer zerstörten Fensterscheibe bei der Polizei aktenkundig geworden ist.

Und die Lust am Maskieren, am Ausbruch? Die befriedigt die Fasnacht doch wohl viel überbordender, ekstatischer und noch dazu ohne die thematische Eingrenzung aufs Gruselige. Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt? Sich allzu fest über Halloween zu ereifern, ist indes nicht mehr nötig. Halloween ist auf dem absteigenden Ast. Der Rummel um Halloween flaue in der Schweiz wieder ab, titelte die NZZ vor einem Jahr. Zum Glück.