FLAWIL: Vom Selbstversorgertum in die digitale Zukunft

Die vierte industrielle Revolution und ihre Folgen auf den Arbeitsmarkt lassen sich nicht aufhalten. Die Vorteile für die Menschen nutzen und sich für sichere Lebens- und Arbeitsbedingungen einzusetzen, das sind die Antworten der Gewerkschaften.

Ramona Riederer
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Arno Kerst (stehend), Präsident Syna Schweiz, und Othmar Widmer, Präsident Syna Ostschweiz, diskutieren mit den Gewerkschaftsmitgliedern die aktuellen Probleme. (Bild: Ramona Riedener)

Arno Kerst (stehend), Präsident Syna Schweiz, und Othmar Widmer, Präsident Syna Ostschweiz, diskutieren mit den Gewerkschaftsmitgliedern die aktuellen Probleme. (Bild: Ramona Riedener)

Die Gewerkschaften Syna und Transfair Ostschweiz treffen sich jeweils anfangs Jahr zu einem gemeinsamen Impulstag, um sich fit zu machen für gewerkschaftspolitische Themen, die in den kommenden Monaten anstehen. Bereits zum zweiten Mal fand diese Tagung in der modernen Aula des Bildungszentrums Mattenhof in Flawil statt.

Die vierte industrielle Revolution und die Fragen und Antworten dazu, standen im Fokus. Dazu passt die langjährige Geschichte des Mattenhofs. Über 80 Jahre absolvierten im Internat der landwirtschaftlichen Bildungsanstalt angehende Bauern ihre Ausbildung. Dann erlebte der Mattenhof 2010 eine Umstrukturierung und wurde zu einem modernen Berufsbildungszentrum.

«Geniesse deine Zeit, denn du lebst nur jetzt und heute. Morgen kannst du Gestern nicht mehr nachholen. Und später kommt früher als du denkst.» Mit diesem Zitat von Albert Einstein begrüsst Pius Riedener, Präsident von Transfair die rund 50 Gewerkschaftsmitglieder. Ein beinahe einstimmiges Nicken bestätigte, wie sehr nur schon das Stichwort «Zeit» die Gewerkschaftsmitglieder zum Nachdenken anregt. Sich diesen Herausforderungen stellen, die Chancen nutzen und das Beste für den Menschen herauszuholen, seien Ziele, für die sich die Gewerkschaften stark machen werden, verspricht Arno Kerst, Präsident der Syna Schweiz.

Von der Muskelkraft zum Pflegeroboter

Als Maschinen die menschliche Muskelkraft ersetzte, wurde aus Selbstversorgern – Bauern und Heimarbeitern – Fabrikarbeiter und Arbeitskräfte. Diese erste Industrialisierung anfangs des 19. Jahrhunderts brachte grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Lebens- und Arbeitsumstände. Mit Errungenschaften wie Elektrizität, Massenproduktion und Verbrennungsmotor fand Ende 19. Jahrhundert der zweite industrielle Umbruch statt. Während jede Veränderung Unsicherheit und Angst mit sich brachte, prophezeite man in den 1970er-Jahren mit den Entwicklungen in der Mikroelektronik und Computertechnik, der dritten industriellen Revolution, die grosse Massenarbeitslosigkeit. Verschiedene Berufszweige erlebten zwar einen Wandel, wobei Arbeitsplätze verloren gingen und neue entstanden sind, doch die Schreckensszenarien trafen glücklicherweise nicht ein. «Heute sind wir wieder im Umbruch. Wir wissen nicht, wo uns die Entwicklung hinführt. Doch der Mensch muss von der vierten Revolution profitieren können», so Arno Kerst. Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Roboter, die alte Menschen pflegen, – das sind die Geister der heutigen Welt. Doch Arno Kerst ist überzeugt: «Auch damit werden wir fertig.»

Zum Bildungssystem der Schweiz, welches ebenfalls einen kompletten Wandel erlebt hat, referierte Bruno Müller, Leiter des Amts für Berufsbildung des Kantons St. Gallen. Mit dem extremen Wandel der Berufswelt, wo teils Berufe völlig verschwunden sind, ganze Berufszweige sich neu entwickelt und andere sich komplett verändert haben, hätten sich auch die Anforderung an das Bildungswesen verändert. Lebenslanges Lernen, Flexibilität, Einsatzbereitschaft am Arbeitsplatz und Zugang zu Berufsbildung für alle, sei heute gefragt.

«Wir haben ein Super-Bildungssystem und ein hervorragendes Sozialnetz», sagt Bruno Müller. «Den Rucksack, der in jungen Jahren noch leer ist, müssen wir füllen. Nicht auf einmal, systematisch. Mit Freude am Lernen und Begeisterung sich auf Neuem zu bewegen.»

Ramona Riederer

redaktion@wilerzeitung.ch