Beat Müller hat ein ungewöhnliches Hobby: Mit Zylinder und Drehorgel tingelt er durch die Region.
Es hat lange gedauert, bis Beat Müller endlich eine Drehorgel sein Eigen nennen durfte, bis der «Bubentraum» in Erfüllung gegangen ist. Seit bald zwei Jahren nun ist der 66-jährige Flawiler stolzer Besitzer einer seltenen Drehorgel der Marke Kollmer Hörtig. Das stattliche weinrote Exemplar steht im Wohnzimmer der Müllers: 15 Kilogramm schwer, 40 Jahre alt, ausgestattet mit 26 Pfeifen und verziert mit kunstvollen Blumenmustern. Als er die Drehorgel in Uster, wo er sie einem älteren Herrn abkaufte, zum ersten Mal hörte, seien ihm fast Tränen in die Augen gekommen, erinnert sich der pensionierte Bänker.
Seither dreht Müller das Rad seiner Orgel an Hochzeiten, an Weihnachtsmärkten, an Versammlungen oder Theaterabenden. Wichtig ist dabei die richtige Geschwindigkeit: nicht zu schnell – denn dann überschlagen sich die Töne –, aber auch nicht zu langsam – dann leiert die Orgel. «Ein gutes Musikgehör ist von Vorteil», erklärt Müller, der beim Musikverein Henau-Uzwil die Tuba spielt. Bis er den Dreh raus hatte, brauchte es einige Übungstage. «Das habe ich dann im Arm gespürt», sagt er mit einem Grinsen.
Müllers Repertoire – Märsche, Volkslieder, aber auch Modernes von Abba oder Gassenhauer wie «Atemlos» – ist auf langen, gelochten Papierrollen «gespeichert». 50 Stück besitzt er mittlerweile, einige davon wurden sogar noch in alter Manier in Handarbeit hergestellt.
Um die Musik darauf zum Klingen zu bringen, muss er die Rollen in den Orgelkasten einsetzen. Dreht Müller nun das Handrad, wird der Blasebalg betätigt und gleichzeitig das Papierlochband angetrieben. Sobald das Lochband mit einem oder mehreren Löchern den «Tonabnehmer» erreicht, entlädt sich der aufgebaute Luftdruck und wird zu der jeweiligen Pfeife weitergeleitet. «Das Innenleben kenne ich noch nicht bis ins Detail», gibt Müller zu.
Die Orgel braucht dabei weniger Pflege, als man erwarten würde: Alle fünf bis acht Jahre eine Revision reicht völlig aus. Hitze und Kälte machen ihr nichts aus, bloss vor Feuchtigkeit muss sie geschützt werden.
Das komplizierte Innenleben hat seinen Preis: Eine 26-Ton-Orgel kostet schnell einmal über 10000 Franken, aber auch für eine kleinere Orgel mit 20 Pfeifen zahle man gut und gerne 7000 Franken. Wie viel er für sein Exemplar bezahlt hat, will Müller nicht verraten. «Aber es war ein echtes Schnäppchen», sagt er. Gefunden hat er sie über Ricardo. Dem früheren Besitzer – mit über 80 Jahren fehlte ihm zunehmend die Kraft zum Drehen – war es vor allem wichtig, dass die Orgel in gute Hände kam. «Er hing sehr daran», sagt Müller.
Angesichts der Reaktionen der Zuhörerinnen und Zuhörer kann der Verkäufer beruhigt sein. Müller erzählt:
«Wenn ich im Altersheim spiele, kriegen die Bewohnerinnen und Bewohner jeweils leuchtende Augen. Manche tänzeln oder singen mit.»
Der Klang der Drehorgel erinnert sie an längst vergangene Zeiten, als das Instrument auf Jahrmärkten noch öfters zu hören war. Dort hat auch Müller das Instrument kennen gelernt: «Wenn ich als Kind eine Drehorgel sah, wollte ich sie immer anschauen gehen und hörte zu.»
Aber auch bei der heutigen jüngeren Generation kommt die Drehorgel gut an – Streamingdienste und MP3 zum Trotz. «Wenn unsere Grosskinder zu Besuch sind, muss ich immer die Drehorgel spielen», sagt Müller. Den Leuten mit wenig Aufwand eine grosse Freude machen, das sei eine Genugtuung.
Beat Müller tritt heute Samstag, 30. November, am Weihnachtsmarkt im Lindenhof auf. Danach ist er am 10. Dezember im Rahmen einer Aktion des «b’treffs» von 17 bis 19 Uhr am Bahnhof von Flawil zu hören.