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Ostschweiz
Wil
Szenenbildung, Unrat, Schlägereien: Die Polizei setzt auf Patrouillen, der Stadtrat auf die geplante Neugestaltung Stadtraum Bahnhof/Allee.
6. Juni 2019, 14 Uhr: Sechs Männer im Alter zwischen 17 und 21 Jahren prügeln einen 50-Jährigen spitalreif. Das Opfer hatte nach eigener Aussage eine ältere Dame vor der multikulturellen Gang beschützen wollen. Tatort ist der Bahnhof Wil.
Zweieinhalb Monate später: Es ist der 23. August. Wiederum sind es sechs junge Typen, die einen Mann anpöbeln. Der 40-Jährige hatte die Gruppe offenbar zur Ruhe gemahnt. Ein unbeteiligter 25-Jähriger interveniert und wird mit einer Flasche niedergeschlagen. So zumindest schildert der Verletzte den Sachverhalt hernach auf Facebook.
Die Staatsanwaltschaft hat die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Doch egal was die Abklärungen zutage bringen – sie werden nichts an der Aussenwahrnehmung des Wiler Bahnhofs ändern. Die Ereignisse vom Juni und August haben Schlagzeilen gemacht und das Image der glanzlosen städtischen Visitenkarte zementiert.
Dieses ist wenig schmeichelhaft. Der Bahnhof Wil gilt als Szenetreffpunkt, als Ort mit geringer Aufenthaltsqualität. Reisende und Passanten fühlen sich unwohl, vor allem nachts. Nicht erst seit den Ereignissen der vergangenen Monate, sondern seit Jahren. Diese Erfahrung wird von einer Kundenbefragung der SBB aus dem Jahr 2018 gestützt. Bei der «Gesamtzufriedenheit» erzielte der Bahnhof Wil gerade einmal 76 von 100 möglichen Punkten. Nur die Bahnhöfe von Winterthur und Biel gelten als vergleichbar unbeliebt.
Das subjektive Sicherheitsempfinden und die objektive Gefährdung sind zweierlei Dinge. Geht es um das effektive Gefahrenpotenzial, das der Wiler Bahnhof birgt, wiegeln Polizei, SBB und Stadt ab, stützen sich dabei auf Statistiken, welche die Risiken nicht höher einstufen als an anderen Bahnhöfen mittlerer Städte mit Zentrumsfunktion. Dunkelziffer hin oder her.
Dennoch war gerade Wil einer von drei Schweizer Bahnhöfen, die im Auftrag der SBB von der Firma EBP untersucht und beurteilt wurde. Die 2018 präsentierte Pilotstudie über die kriminalpräventive Situation enthält auch Empfehlungen. In Wil sollten fünf Ziele anvisiert werden.
Über die Umsetzung der Empfehlungen äussern sich die zuständigen Stadträte zurückhaltend und wenig konkret. Was die angeregte «Optimierung der Raumgestaltung» betrifft, verweist der Departementsvorsteher Versorgung und Sicherheit, Stadtrat Daniel Meili, auf die geplante Neugestaltung des Stadtraums Bahnhof/Allee. Im Rahmen derer sollen Forderungen wie die Erhöhung der Attraktivität der Haupt- und Nebenunterführungen umgesetzt werden. Allerdings befindet sich das Projekt «Amici» erst in der Vorprojektphase. Gebaut werden könnte im besten Fall in den Jahren 2023-2025. Was die Lichtverhältnisse anbelange, würden diese bereits heute überprüft und nötigenfalls angepasst, sagt Meili.
Für die Beseitigung des Abfalls – ebenfalls ein Anliegen aus der EBP Schweiz-Studie – werden laut Meili im Umfeld von Bahnhof und Allee Zusatzpatrouillen eingesetzt. Ab dem nächsten Monat würden darüber hinaus in der Allee neue Massnahmen auf ihre Wirksamkeit geprüft.
Als grundsätzlich umgesetzt bezeichnet Daniel Meili die EBP Schweiz-Empfehlung, Personen eines Sicherheitszirkels in die Planung und Entwicklung um den Bahnhof einzubeziehen. «Unter der Leitung des Bereichs Sicherheit finden regelmässig Treffen des Sicherheitszirkels statt.» Dabei werde die Situation laufend analysiert und mögliche Massnahmen würden umgesetzt.
Die Probleme sind eruiert, der Handlungsbedarf erkannt, weitere Massnahmen geplant, wie Meili sagt. Alles lässt sich jedoch nicht mit Massnahmen steuern. So etwa die Szenetreffen beim Allee-Aufgang, die laut genannter Studie verhindert werden müsste. Szenenbildungen liessen sich nicht einfach verhindern oder verschieben, sagt Stadtrat Dario Sulzer, Vorsteher des Departements Soziales, Jugend und Alter. Aus seiner Sicht macht es Sinn, dieses Thema gleichzeitig mit der Neugestaltung vertieft anzugehen. «Zurzeit versuchen wir die Situation vor allem mit der Präsenz der Sicherheitskräfte zu verbessern», sagt Sulzer.
Dazu leistet, nebst der Securitas, auch die Kantonspolizei mit regelmässigen zivilen und uniformierten Patrouillen ihren Beitrag. Dennoch sagt Kapo-Kommunikationschef Hanspeter Krüsi: «Auch mit einer Verdoppelung der Einsatzkräfte könnten wir keine 100-prozentige Sicherheit gewährleisten, das Fehlverhalten von Einzeltätern verhindern.» Unter anderem auch deshalb wehrt sich Daniel Meili gegen den Vorwurf, die acht Überwachungskameras auf dem Bahnhofplatz und in der Unterführung sowie die sechs in der Allee verfehlten ihre (präventive) Wirkung. «Mit dem System und den Fahndungserfolgen sind wir hochzufrieden», macht er klar.