«Im Auftrag Gottes im Dienste der Menschen», so sieht für Meinrad Gemperli Priesterbild aus, das er seit 50 Jahren auch lebt. Heute freut er sich als emeritierter Stadtpfarrer über mehr Zeit für das Studium der Heiligen Schrift.
Am Ostersonntag konnte alt Stadtpfarrer Meinrad Gemperli sein goldenes Priesterjubiläum feiern. Am 8. April 1962, also vor 50 Jahren, war er vom damaligen Diözesanbischof und vormaligen Wiler Stadtpfarrer Josephus Hasler in St. Gallen zum Priester geweiht worden. Seit 1990 steht er im Dienst der Katholischen Pfarr- und Kirchgemeinde Wil.
Anlass also, mit ihm etwas Rückschau zu halten. Doch wer Meinrad Gemperli kennt, weiss genau, dass er für so etwas nicht zu haben ist und sofort darauf verweist, dass er ein Mensch ist, der nicht zurück-, sondern immer nach vorne schaut. Und so geht es denn in diesem Gespräch mit ihm mehr um sein Verständnis als Priester, denn um das chronologische Aufreihen von Lebensdaten und Ereignissen.
Obwohl in den Vierzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen, ist ihm das damals weitverbreitete barock überhöht und gold-verbrämte Priesterbild gänzlich fremd, so dass seine spätere Berufswahl nicht davon geprägt gewesen sei. In seinem Toggenburger Heimatdorf war zwar katholische Diaspora, doch sei das Verhältnis zwischen reformierter Mehrheit und Katholiken trotz klarer Abgrenzung stets respektvoll gewesen. Dies sei so weit gegangen, dass der evangelische Lehrer die katholischen Knaben sogar die bis zum Konzil geltenden lateinischen Gebete eingeübt habe. Diese gelebte, engagierte Toleranz hatte Gemperli von Kindsbeinen an verinnerlicht. Und bis heute praktiziert er diese in der interkonfessionellen Ökumene wie auch Offenheit im Umgang mit anderen «Religionen und Kulturen, in denen sich Gott ebenfalls offenbart», wie er betont. So ist es für ihn unverständlich, wenn sich Religionen ängstlich voreinander abschotten, anstatt von einander lernten und sich gegenseitig bereichern.
Den katholischen Pfarrer in seiner Kindheit beschreibt er als einen liebenswürdigen Mann, der sein Leben mit den Menschen geteilt habe. Keine abgehobene Figur der Sonntags-Liturgie, die mit Hochwürden angesprochen werden wollte, sondern ein Priester für den Alltag, der sein Amt «im Auftrag Gottes im Dienste der Menschen» verstanden habe. Und für Meinrad Gemperli selber bedeutet dies für sein Wirken in der Kirche: «Mit dem Volk Gottes im Glauben unterwegs sein.» So verstehe auch er sich vor allem als Priester im Alltag und nicht ausschliesslich der Liturgie, was sowieso nur einen sehr kleinen Anteil ausmache.
Den Entschluss, selber einmal Priester zu werden, habe er recht spät gefasst. Sein Vater als Bauer hätte ihn gerne als Ingenieur-Agronom gesehen und er selber habe sich sehr für Physik interessiert, erinnert sich Gemperli, der das Gymnasium mit Latein und Griechisch in der Unteren Waid bei den Salettinern besucht hatte. Erst im dritten Jahr seines Studiums der Theologie in Fribourg habe er sich entschieden.
Dies lasse sich aber nicht auf die Devise «Priester auf immer» vereinfachen, meint Gemperli, sondern bedeute eine ständige Auseinandersetzung mit diesem Amt: «Wie kann ich diesen Dienst erfüllen?». Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit dem in der römisch-katholischen Kirche noch immer geltenden Pflichtzölibat. Ein lediglich auf Verzicht ausgerichtetes Leben ist seine Sache nicht, ebenso wenig billige Ersatzangebote. Gemperli ist überzeugt, auf der Suche nach einer vollwertigen, ihm entsprechenden Lebenskultur fündig geworden zu sein: Architektur, Musik, Kunst, Begegnung mit Menschen. Arbeitslos ist der pensioniert Stadtpfarrer jedoch nicht, stellt er sich doch nach wie vor für Dienste in der Pfarrei zur Verfügung. Allerdings ist sein Tagesplan nicht mehr so dicht, was ihm erlaubt, sich mit der Heiligen Schrift zu beschäftigen, «ohne ständig unter dem Druck zu stehen, bis zu einem fixen Zeitpunkt eine Predigt fertig zu haben», freut sich Meinrad Gemperli über seine jetzigen Freiräume.