Ein Gradmesser spaltet die Politik: Der Realisierungsgrad und seine Auswirkungen

Der Investitionsgrad beschäftigt das Stadtparlament. Bleibt er tief, dürfte es schwierig sein, zusätzliche Stellen im Baudepartement durchzubringen. Die Vergangenheit zeigt, dass das Problem in Wil beinahe Tradition hat.

Gianni Amstutz
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Das Parlament überprüft die Rechnung jeweils mit der sprichwörtlichen Lupe nach dem Anteil realisierter Investitionen. (Bild: Stefan Rajewski/Fotolia)

Das Parlament überprüft die Rechnung jeweils mit der sprichwörtlichen Lupe nach dem Anteil realisierter Investitionen. (Bild: Stefan Rajewski/Fotolia)

Er wurde im Parlament schon häufig zum Anlass für Kritik genommen, löst Besorgnis aus und Parlamentarier verlangen wegen ihm Massnahmen und nehmen ihn als Massstab, wenn es darum geht, Stellen im Departement für Bau, Umwelt und Verkehr (BUV) zu genehmigen: Die Rede ist vom sogenannten Realisierungsgrad bei den Investitionen oder auch Realisierungsgrad. Es ist eine Prozentzahl, welche die Gemüter bewegt. Sie bildet ab, wie viel Geld der im Budget eines Jahres geplanten Investitionen tatsächlich investiert werden konnte.

Stellen hängen von Investitionsquote ab

Daniel Stutz erntete als Vorsteher des BUV in der Vergangenheit wiederholt Kritik, da die Mitglieder des Stadtparlaments den Realisierungsgrad von rund 37 Prozent in der Rechnung 2017 als zu tief erachteten. Nun könnte sogar die für die künftigen Jahre geplante und als Zielvorgabe gesetzte Quote bei den Investitionen eine direkte Auswirkung auf die Personalressourcen für das BUV haben. Die bürgerlichen Parteien kündigten an, die drei vom BUV zusätzlich beantragten Vollzeitstellen im Wesentlichen von einer Verbesserung des Anteils umgesetzter Investitionen abhängig zu machen (Ausgabe vom 1. September). Eine grössere Anzahl Stellen bei gleichbleibend tiefem Realisierungsgrad sei nicht akzeptabel, so der Tenor im bürgerlichen Lager.

Für das Jahr 2019 wird in der Finanzplanung der Stadt mit einem Investitionsgrad von 70 Prozent gerechnet, für die Jahre danach mit 50 Prozent. Während sich bürgerliche Politiker einig sind, dass dies zu wenig ist, verweisen Linke auf anstehende Grossprojekte mit einem Investitionsvolumen über 150 Millionen Franken. Es bedürfe deshalb dringend mehr Personalressourcen im BUV, ungeachtet des angenommenen Investitionsgrads.

50 Prozent schon lange unerreicht

Das Problem ist in Wil denn auch nicht neu. Bereits unter Stutz Vorgänger Markus Zunzer wurde das BUV wiederholt zur Zielscheibe der Kritik. Grund dafür war schon damals ein (zu) tiefer Investitionsgrad. Bereits seit 2014 erreichte die Stadt nie mehr einen Realisierungsgrad von über 50 Prozent. 30 Prozent 2014, 45 und 49 Prozent in den Jahren 2015 und 2016 zeigen, dass bereits Markus Zunzer damit zu kämpfen hatte, geplante Projekte in die Tat umzusetzen. Einer der Kritiker von Stadtrat Zunzer war damals – wohl auch aus wahlkampftaktischen Gründen – ausgerechnet der jetzige BUV-Vorsteher Daniel Stutz. Im September 2016, kurz vor der Stadtratswahl, meinte Stutz gegenüber dieser Zeitung: «Wenn eine Person, die ein Baugesuch einreicht, drei bis vier Wochen auf eine Reaktion aus dem BUV warten muss, ist das zu lang. Die Prozesse im Departement scheinen nicht zu funktionieren.» Vorwürfe, die dem jetzigen BUV-Vorsteher nur allzu bekannt vorkommen dürften.

Daniel Stutz betonte zwar wiederholt, dass er bemüht sei, den Investitionsgrad zu erhöhen, mässigt aber gleichzeitig dessen Aussagekraft als Gradmesser für die Arbeit des Departements. So zeigte er auf, dass der tiefe Realisierungsgrad von verschiedenen Faktoren abhängt, welche nur bedingt beeinflusst werden können. Neben Einsprachen, die Projekte blockieren, führen auch Minderausgaben zu einem tieferen Realisierungsgrad. Weiter werden gewisse Projekte in Zusammenarbeit mit dem Kanton und dem Bund erarbeitet, was sich wiederum auf den Zeitplan auswirken kann. Es wird nun die Aufgabe von Daniel Stutz sein, dem Parlament zu erklären, weshalb die zusätzlichen Stellen notwendig sind, auch wenn dadurch nicht automatisch ein hoher Realisierungsgrad erreicht werden kann. Gelingt ihm das nicht, drohen die geforderten Personalressourcen erneut aus dem Budget gestrichen zu werden. Sind die Stellen für die Realisierung der Grossprojekte tatsächlich unerlässlich und werden trotzdem nicht bewilligt, dürfte dies für die Stadt nichts Gutes bedeuten.