Eine Recherche des «Beobachters» über eine Bührle-Fabrik im Toggenburg hat Trauriges zutage gefördert: Hunderte Mädchen mussten in der Nachkriegszeit in der Fabrik Zwangsarbeit leisten.
(pd/mas) In der Nachkriegszeit mussten viele Mädchen gegen ihren Willen in einer Bührle-Fabrik im Toggenburg arbeiten. Das berichtet der «Beobachter». Der Zürcher Waffenfabrikant und Kunstsammler Emil G. Bührle besass in Dietfurt ab 1941 eine Spinnerei mit Mädchenheim. In diesem Heim liessen Fürsorgebehörden aus der gesamten Deutschschweiz mindestens 300 minderjährige Mädchen gegen ihren Willen internieren und zu Hungerlöhnen arbeiten, wie der Beobachter schreibt.
Emil Bührle, der damals reichste Schweizer, maximierte dadurch seinen Gewinn.
Die Arbeitsbedingungen bezeichnet der Historiker Thomas Huonker als Zwangsarbeit. Die Bührle-Spinnerei liess die Mädchen gemäss des Artikels für sich arbeiten, obwohl ein Arbeitszwang zu Gunsten einer Privatfirma in der Schweiz damals verboten war.
Bereits 1941 war das internationale Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit (SR 0.822.713.9) in der Schweiz in Kraft getreten. Es sieht vor, dass keine Schweizer Behörde «Zwangs oder Pflichtarbeit zum Vorteile von Einzelpersonen oder privaten Gesellschaften» auferlegt oder zulässt.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Bührle-Mädchenheim und den Behörden wurde historisch nie aufgearbeitet. Der Beobachter hat das System rekonstruiert anhand von Akten aus vier Archiven sowie Aussagen einer Zürcherin, die dort als 18-Jährige Zwangsarbeit leistete. Sie kritisiert den Umgang der Stadt mit der Vergangenheit:
«Man spricht in Zürich von der Raubkunst des Emil Bührle, die nun bald im neuen Kunsthaus gezeigt wird. Aber das Kapitel mit uns Mädchen bleibt schön unter dem Deckel.»
Die Bührle Werkmitteilungen präsentierten die Spinnerei und Weberei Dietfurt AG als «Musterbetrieb».
Nach Bührles Tod im Jahr 1956 übernahm sein Sohn Dieter Bührle das Verwaltungsratspräsidium. Verantwortlich für das Mädchenheim waren bis 1968 Schwestern aus dem Kloster Ingenbohl Schwyz. Gemäss vorsichtigen Schätzungen waren mindestens 300 Zwangsarbeiterinnen dort untergebracht, darunter etliche Mädchen aus der Stadt Zürich, wie der Beobachter schreibt.
Zürich will laut dem Artikel prüfen, ob die Rolle der Stadt in diesem Fall «vertieft zu untersuchen wäre». Das Kunsthaus Zürich, das ab Oktober Teile von Emil Bührles Kunstsammlung ausstellt, solle transparent über die historischen Zusammenhänge informieren.
Bührle-Enkel Gratian Anda, der als Erbe im Stiftungsrat der Sammlung E. G. Bührle sitzt,will in dieser Thematik nicht Stellung nehmen. Beobachter-Chefredaktor Dominique Strebel fordert, dass «auch das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen thematisiert werden muss».