Als Ausbildungsberaterin, Coach und Mentorin unterstützt Gaby Braun junge Menschen beim Einstieg in die Arbeitswelt. In ihrer 17-jährigen Tätigkeit hat die Wilerin über 400 junge Frauen und Männer begleitet.
«Bis Jugendliche sich bei mir melden, benötigen sie einen gewissen Leidensdruck», sagt Gaby Braun. Das Leiden wird meistens von Problemen und Misserfolgen bei der Lehrstellensuche ausgelöst. Ein ganzer Fächer von Ursachen kann dahinter stecken: familiäre Spannungen, Angststörungen, problematisches Umfeld, Wohlstandsverwahrlosung, Überbehütung durch die Eltern, Schwierigkeiten des Jugendlichen oder eines Elternteils mit Alkohol oder Drogen, Schulden, traumatische Gewalterfahrungen in der Kindheit, eine ungünstige Wohnsituation und weiteres mehr.
Meist verhindert eine Verzögerung in der Reifung einen erfolgreichen Einstieg in die Berufswelt. «Manche Jugendliche haben ein sehr schwaches Selbstwertgefühl», sagt Gaby Braun. «Andere über- oder unterschätzen ihre Fähigkeiten und visieren ein Berufsziel an, das nicht ihren Voraussetzungen entspricht.» Die erfahrene Fachfrau erwähnt auch eine reduzierte Belastbarkeit von manchen Jugendlichen.
Gaby Braun ist Ausbildungsberaterin der Stiftung «Die Chance», die ihre Geschäftsstelle in Rheineck hat. Die Stiftung wurde 1999 vom damaligen Präsidenten des Verwaltungsrates der Swisscom, Markus Rauh, gegründet. Wie er feststellte, absolvieren zehn Prozent der Jugendlichen in der Schweiz nach der obligatorischen Schulzeit keine weitere Ausbildung. Diese ungelernten Arbeitskräfte können besonders leicht von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen werden, die auch zu negativen Konsequenzen für die Gesellschaft und die öffentliche Hand führen. Gaby Braun und weitere Ausbildungsberater der Stiftung, die in den Kantonen AI, AR, GL, GR, SG, TG sowie dem Fürstentum Liechtenstein aktiv ist, coachen junge Menschen, die einen erschwerten Einstieg in die Arbeitswelt haben und begleitet sie durch die Lehrzeit.
Bei der Begleitung geht es nicht einfach nur um die Vermittlung einer passenden Lehrstelle. «Oft muss zuerst eine Stabilität ins Leben gebracht werden, damit eine erfolgreiche Lehrstellensuche überhaupt angegangen werden kann. Bei manchen Jugendlichen sind die jeweiligen Schwierigkeiten so dominierend, dass für alles andere kaum Zeit und Energie bleibt», erzählt die Mentorin. Daher muss sie mit den Jugendlichen zuerst eine Standortbestimmung vornehmen, um zu erkennen, wo der «Schuh drückt». Ihre Jugendlichen haben die reguläre Schulzeit bereits hinter sich und befinden sich beispielsweise in einem Brückenangebot, sind bereits mehr oder weniger lange ohne Beschäftigung und haben deshalb keine geregelte Tagesstruktur. Je nach Umständen werden zur Problemlösung Fachpersonen oder Fachstellen eingeschaltet, damit anschliessend die nächsten Schritte erfolgen. Diese können etwa eine Schnupperlehre oder ein Praktikum sein.
In einigen wenigen Fällen ist auch eine IV-Abklärung erforderlich, damit die entsprechenden Lernenden mit angepasstem Lerntempo und mit intensiver Begleitung durch speziell ausgebildete Agogen durch die Ausbildung begleitet werden.
Wie die Ausbildungsberaterin betont, werden nicht automatisch alle Jugendlichen mit Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche angenommen. «Wir erwarten, dass der Jugendliche für sich selber aktiv wird und bereit ist, etwas an seiner Situation zu verändern.» Oft braucht es eine gewisse Zeit, bis den jungen Menschen bewusst wird, dass nicht alle anderen für ihre missliche Lage verantwortlich sind; bei ihnen selber muss die Veränderung beginnen.
Bei der ersten Kontaktaufnahme mit der Begleiterin werden die Jugendlichen aufgefordert, ein vorgegebenes Dossier über ihre Person zusammenstellen. Dabei zeigt sich oft bereits, wie zuverlässig, engagiert und geschickt sie an diese Aufgaben herangehen. Dies kann ein wichtiger Hinweis auf die Hintergründe der Probleme bei Lehrstellensuche sein. Anschliessend werden die Unterlagen von Gaby Braun in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung der Stiftung geprüft und entschieden, ob der junge Mensch für ein Mentoring durch «Die Chance» geeignet ist. Nach der allfälligen Zustimmung geht es um die konkrete Weichenstellung in Richtung Schnupperlehre, Praktikum oder Lehrstelle. «Manche Jugendliche fordere ich dazu auf, sich über entsprechende Firmen in der angestrebten Branche in der Region zu informieren.» Dann geht es ans Bewerbungsschreiben.
Obwohl Gaby Braun in ihrer 17-jähriger Tätigkeit ein dichtes Beziehungsnetz im regionalen Gewerbe und in der Industrie aufgebaut hat, fungiert sie nicht bloss als Stellenvermittlerin. Viele ihrer Jugendlichen müssen die richtige Vorgehensweise Schritt für Schritt selber erarbeiten. Dies verlangt von ihr gelegentlich Geduld. Oft geht es hier um Reifeschritte, die nachgeholt werden müssen.
Daher verlangt das Vorgehen der Mentorin unterschiedliche Strategien: Gelegentlich ist eher lebenspraktische Unterstützung gefordert, ein anderes Mal eine gewisse Strenge, dann wieder wohlwollende Begleitung. Dabei ist auch die Dosis entscheidend. «In meiner Aufgabe muss man sich abgrenzen können, man darf Mitgefühl für schwierige Umstände empfinden, nicht aber Mitleid.» In ihrer Tätigkeit ist fachliche Kompetenz in Beratung und Coaching ebenso gefordert, wie eine grosszügige Portion praktischer Lebenserfahrung.