Die Kirche im Stadtteil der Müllsammler

Obwohl die koptische Felsenkirche in Kairo mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, ist sie bei Touristen weitgehend unbekannt. Dies liegt wohl daran, dass sie im Stadtteil der Zabbalin, der ägyptischen Müllsammler, liegt.

Lucienne Suter
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Die koptische Felsenkirche in Kairo bietet 20 000 Personen Platz, ist aber nur wenigen Touristen ein Begriff. (Bild: Yehia Sayed)

Die koptische Felsenkirche in Kairo bietet 20 000 Personen Platz, ist aber nur wenigen Touristen ein Begriff. (Bild: Yehia Sayed)

Obwohl die koptische Felsenkirche in Kairo mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, ist sie bei Touristen weitgehend unbekannt. Dies liegt wohl daran, dass sie im Stadtteil der Zabbalin, der ägyptischen Müllsammler, liegt. Die Zabbalin hingegen sind in der ganzen Stadt bekannt, denn sie sorgen dafür, dass der Müll von den Strassen und aus den Haushalten eingesammelt wird. Meistens sieht man sie mit völlig überladenen Lastwagen durch die Stadt fahren. Wohin sie den Müll jedoch bringen, darüber machen sich die meisten Menschen keine Gedanken. Einen Ausflug zum Viertel der Zabbalin hat mich darüber auf bewegende Art und Weise aufgeklärt.

Im Minutentakt

Schon wenn man sich dem Manschiyyet Nasser, dem Zuhause der Zabbalin, nähert, steigt einem ein starker Geruch von Fäulnis in die Nase. In den engen Strässchen sind Abfallsäcke meterhoch aufgetürmt und nicht nur das: Auch die Gebäude sind bis oben mit Abfall gefüllt. So findet man in den ersten Gebäuden des Viertels noch unsortierten Abfall, während man eine Strasse weiter Gebäude mit Textilien, Petflaschen, Plastik, Karton etc. findet. Im Minutentakt fahren die Zabbalin mit überfüllten Lastwagen in das kleine Viertel, um neuen Abfall zu bringen. Der Gestank scheint die Anwohner nicht zu stören. Völlig gelassen sitzen sie vor den Abfallbergen und trinken Tee, rauchen Zigaretten oder Wasserpfeife und schwatzen miteinander. Dass das Viertel aufgrund der Abfallberge mit Fliegen überfüllt ist, hält die Zabbalin nicht davon ab, rohes Fleisch zum Verkauf auf der Strasse aufzuhängen.

Die Müllsammler stammen ursprünglich aus Oberägypten. Die verschiedenen Familien haben sich auf die Sortierung einer bestimmten Abfallart spezialisiert und sorgen so nicht nur für eine zuverlässige Müllabfuhr, sondern auch für eine umfassende Müllsortierung und Recycling. Viele Familien erarbeiten sich ihren Unterhalt nicht nur mit der Müllabfuhr, sondern auch mit dem Verkauf von Recyclingwaren. So stellen sie zum Beispiel aus Plastik- und Textilabfällen Accessoires her, welche sie dann wieder verkaufen.

Grösste Kirche im Nahen Osten

Auch wenn inzwischen immer mehr Moslems ihr Einkommen im Müll suchen, sind die meisten Zabbalin nach wie vor koptische Christen. Die Felsenkirche der Zabbalin ist die grösste Kirche im Nahen Osten. Sie hat Platz für 20 000 Gläubige und erinnert optisch an ein griechisches Amphitheater. Die koptische Kirche in Ägypten bildet mit rund zwölf Millionen Gläubigen die grösste christliche Gemeinschaft im Nahen Osten. Auch wenn der Besuch im koptischen Müllviertel erst mal verdaut werden muss, sollte man nicht den Eindruck haben, dass alle Christen in Ägypten arm sind. Die meisten ägyptischen Kopten leben vom Goldhandel und sind sehr wohlhabend.

Lucienne Suter aus Wil lebt in Kairo. Für die Wiler Zeitung berichtet die 26-Jährige über Erlebnisse in der ägyptischen Hauptstadt.