Der letzte Bärenführer

Reinhard Loosli verwirklichte sich mit dem Beruf als Bärenführer seinen Kindheitstraum. Er bereiste mit der Braunbärin Judith ganz Europa und den Nahen Osten und präsentierte den Menschen sein einstudiertes Programm.

Vivien Steiger
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Reinhard Loosli und Braunbärin Judith vor ihrem Winterquartier in Henau. (Bild: zVg)

Reinhard Loosli und Braunbärin Judith vor ihrem Winterquartier in Henau. (Bild: zVg)

FLAWIL. «Meine Frau und ich wohnen in Flawil. Ich hatte nie die Freiheit und Zeit für eine Familie mit Kindern, da ich 25 Jahre als Bärenführer gearbeitet habe und viel gereist bin», erzählt der heute 71jährige Reinhard Loosli. Angst vor den Bären habe er nie gehabt: «Als Tierlehrer war ich das Alphatier. Und da man die Bären immer von klein an hatte, wurden sie – anstelle ihrer Mutter – von ihrem Lehrer, also von mir, geprägt. Natürlich versuchten sie meine Position zu untergraben, man durfte einfach nie Angst haben.» Von zehn Bären ist laut Loosli nur einer für die Dressur geeignet. Man müsse zuerst herausfinden, worin er gut oder schlecht sei, und darauf aufbauen. Mit Judith hatte er Glück. «Ich kaufte sie im Augsburger Zoo als Jungbärin. Wir waren ein gutes Team und studierten unter anderem Szenen für verschiedene Spielfilme und unser Programm ein», sagt Reinhard Loosli. Er lernte, seine Bären nach der russischen Dressur auszubilden, die auf Vertrauen und Belohnung beruhe. «Sie zeigt den Bären auf handzahme Art und Weise den Weg.»

Erster Zirkus im Ostblock

Reinhard Loosli wuchs neben dem Spelteriniplatz in St. Gallen auf und begeisterte sich schon als Kind für den Zirkus. Ob Jahrmarkt, Zirkus oder eine Arena, der kleine Reiny (so sein Spitzname) war immer anwesend und half, wo er konnte. Wie es seine Eltern verlangten machte er zuerst eine Lehre als Kleiderfärber und eine zweite als Koch, bevor er seinen Weg über die Schauspielschule Zürich Richtung Zirkus ging. Er lernte den Zirkus Nock kennen und konnte als Clown und Dresseur von Haustieren beginnen. Danach arbeitete er beim Zirkus Ringling. «Wir waren damals der erste Zirkus, der im Ostblock sein Programm aufführte. Wir bereisten unter anderem Tschechien, Polen, Bulgarien und Rumänien», sagt Reinhard Loosli. Als Hausartist hatte Reiny mehrere und vielfältige Arbeiten. Er war Clown, dressierte Lamas und Yaks und spielte auf der Wasserorgel. Unterwegs lernte er einen Russen kennen, der mit seinen Bären verschiedene Nummern aufführte. «Ich war begeistert und schaute ihm immer beim Training zu. Eines Tages fragte er, ob ich lernen wolle, als Bärenführer zu arbeiten und begann mich in die Künste einzuweihen.» Reinhard Loosli kaufte von Matrosen einen kleinen Bären und machte nach der Zirkussaison alleine weiter. Er wurde am ersten Bärenfest in Wil, bei den Bundesratsfeiern in Bern oder bei der 1200-Jahres-Feier Bütschwil von den Veranstaltern engagiert und unterhielt mit seiner Bärin Judith das Publikum.

Keine Zeit für Familie

«Elf Monate im Jahr waren wir unterwegs. Von den Kanarischen Inseln über Israel bis nach Teheran», erzählt Loosli, der gemäss eigener Aussage der letzte Bärenführer der Schweiz gewesen sei. Auf Kreuzfahrtschiffen führte er seine Spektakel auf und konnte als Gegenleistung gratis reisen. Da Judith zu gross für den Transport im Flugzeug war, reisten sie und Reinhard Loosli immer mit dem Schiff. «Im Winter verbrachten wir einen Monat in unserem Winterquartier in Henau, da ich nicht mit meiner Bärin arbeiten konnte, wenn sie <läufig> war.» Judith hatte einen fünf Meter langen Anhänger als Zuhause. «Für die damaligen Vorschriften reichte er aus.» Als 1984 ein neues Tierschutzgesetz rauskam, welches die Raubtierhaltung im privaten Bereich verbot, musste Loosli eine Lösung finden oder seine Braunbärin einschläfern. Deshalb verbrachte Judith ihre letzten Tage in einem Zoo in Ungarn.

Reiny Looslis Geschichte wurde von Sigi Rogger im Buch «Ein etwas anderes Leben» zu Papier gebracht.