In Wil ist Auktion: Bis am Samstag können Sammler und Händler im Auktionshaus Rapp wieder wertvolle Briefmarken, Münzen oder Uhren ersteigern. Und neu sogar sündhaft teure Handtaschen. Der erste Auktionstag war jedoch von einer Panne begleitet.
Das hat es in der 49-jährigen Geschichte des Auktionshauses Rapp in Wil noch nie gegeben: Kurz vor der Versteigerung einer äusserst wertvollen Briefmarke bricht das Internet zusammen. Online-Bieter können keine Angebote mehr abgeben.
«Das ist ein Super-Gau», sagt Geschäftsführerin Marianne Rapp Ohmann. Der Grund für den Zusammenbruch: zu viele Bieter aus China. In der diesjährigen Briefmarkenauktion, die am Mittwochnachmittag stattfand, wurden extrem seltene und wertvolle Briefmarken aus dem Land im Fernen Osten versteigert.
Bereits im Vorfeld der Auktion waren zwei Chinamarken auf grosses Interesse gestossen. Die eine wurde anlässlich des 60. Geburtstags der Nebenfrau eines chinesischen Kaisers herausgegeben. Bei der anderen handelt es sich um eine chinesische Stempelmarke. Ihren Wert erhielt sie durch einen Produktionsfehler: Ein «5-Dollar-Aufdruck», der kopfüber angebracht wurde. Das macht sie zusätzlich wertvoll. Geschätzt wurden die Marken im Vorfeld auf einen Wert zwischen 30'000 und 40'000 Franken. Fachleute erwarteten aber Verkaufspreise von je 50'000 Franken.
Die Welt der Auktionen dreht sich eigentlich in New York oder London. Traditionshäuser wie Christie’s oder Sotheby’s versteigern dort Kunstwerke der ganz Grossen für Millionenbeträge. Doch wenn es um seltene Briefmarken und wertvolle Münzen geht, kommt die Welt nach Wil. In den letzten 49 Jahren wurden im Auktionshaus Rapp Objekte für mehr als eine halbe Milliarde Franken versteigert. Seit 2017 auch Uhren und Schmuck und am Freitag zum ersten Mal auch Luxushandtaschen, darunter eine Birkin Bag von Hermes.
Kurz vor zwei Uhr an diesem Mittwochnachmittag, an dem einzig Briefmarken versteigert werden, geht es im Eingangsbereich des Auktionshauses zu wie in einem Bienenstock. Es ist der erste Auktionstag, da gibt es immer viel zu tun. Sammler und Händler, sie tragen Karohemden, Pullover oder T-Shirts, unterhalten sich leise. Angestellte des Auktionshauses hasten von einer Ecke in die andere. Sicherheitsleute mit Pistolen und Mikrofonen unter dem Jackett schauen nach dem Rechten. Warmes Licht erfüllt den Raum. Marmorsäulen, ein goldener Kronleuchter mitten im Raum und mehrere Vitrinen mit üppig verzierten Uhren oder wertvollem Schmuck lassen erahnen: Hier geht es um Geld. Um viel Geld.
Im Untergeschoss füllt sich der Auktionsraum, es herrscht stille Hektik. Rund 200 Sammler, Händler und Briefmarkenliebhaber sitzen auf roten oder braunen Stühlen hinter schlichten Konferenztischen und warten auf den Start der Versteigerung. Einige von ihnen müssen stehen, so voll ist der Saal. Ihre Stimmen bleiben jedoch leise, denn eigentlich spricht hier unten nur einer: Peter Rapp, Geschäftsinhaber und Auktionator. Wie ein König auf dem Thron sitzt er hinter seinem Auktionstisch aus Mahagoni und blickt mit ernstem Gesicht auf die Leute herab. In der nächsten Stunde wird er sich enorm konzentrieren müssen.
Kurz nach zwei geht los, was für Laien wohl nur schwer zu verstehen ist: Sammler und Händler bieten kleine Vermögen für kleine Fetzchen Papier. Zu Beginn der Auktion werden Einzelbriefmarken aus Europa versteigert, noch hält sich das Interesse in Grenzen. Ein paar erzielen einen Verkaufswert von mehreren hundert, einige von mehreren tausend Franken. Doch im Vergleich zu dem, was kommt, wirkt das belanglos. Die begehrten Objekte folgen eine halbe Stunde später. Die Versteigerung der Kaiserinnen-Briefmarke steht nun kurz bevor. Mit der Spannung steigt auch die Hitze im Raum.
Als das Foto der wertvollen Marke auf dem Bildschirm neben dem Auktionspult erscheint, wird es still – und dann überschlagen sich die Ereignisse. Das Interesse an der Marke ist weit geringer, als erwartet. Nur zwei Bieter machen ein Angebot. Fast ein wenig ungläubig blickt Peter Rapp in den Saal. «Niemand mehr?», fragt er. Die Marke wird für 41'480 Franken verkauft. Marianne Rapp Ohmann wird später sagen: «Das ist eine Enttäuschung.» Und es wird nicht die letzte bleiben an diesem Nachmittag. Mitten in der Versteigerung der nächsten Briefmarke hält Peter Rapp inne. «Wir müssen unterbrechen», sagt er mit säuerlichem Gesicht, «unser Netz ist zusammengebrochen.» Das Interesse der Online-Bieter aus China war zu gross.
Nach gut 15 Minuten können die IT-Fachleute das Problem beheben. In der Zwischenzeit haben Angestellte Mineralwasser unter den Anwesenden verteilt und die Türen geöffnet, um frische Luft in den Saal zu lassen. Nun folgt die Versteigerung der Briefmarke mit dem Produktionsfehler. Auch sie erzielt einen Verkaufspreis von 41'480 Franken, auch dieser Preis bleibt unter den Erwartungen. «Manchmal sind auch wir ratlos. Eine Auktion ist immer eine Überraschung», sagt Marianne Rapp Ohmann kurz darauf. Auf ihrem Gesicht zeichnet sich Enttäuschung ab.
Zwei Verkaufslose später kann die Geschäftsführerin aber aufatmen. Eine Sammlung mit mehreren chinesischen Briefmarken erzielt einen Höchstpreis von 134'200 Franken. Geschätzt wurde ihr Wert auf 20'000 bis 30'000 Franken. «In den letzten Tagen hat sich zwar ein grosses Interesse an dieser Sammlung abgezeichnet, doch der Verkaufspreis liegt weit über den Erwartungen», sagt Rapp Ohmann. Gekauft hat sie ein Händler aus Wien. Er will die Marken weiterverkaufen und hofft, einen noch höheren Preis zu erzielen, als er bezahlt hat. Seine Erwartungen sind optimistisch: «Ich hätte bis 148'000 Franken dafür bezahlt», sagt er nach der Auktion. Insgesamt wurden Briefmarken im Wert von über vier Millionen Franken versteigert. Damit ist die Familie Rapp zufrieden: «Es ist super gelaufen», sagt Marianne Rapp Ohmann.
Am Donnerstag sind nun die Münzen an der Reihe und am Freitag und Samstag folgen Schmuck, Uhren und Handtaschen. Nach vier Tagen ist es bereits wieder vorbei. Doch schon bald werden die Vorbereitungen für die nächste Auktion beginnen. Denn diese dauern bis zu einem Jahr.