Auf den Spuren eines Bahnpioniers

Frühlingsexkursion der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde (TVH) Am Beispiel der Spinnerei Neuthal im obersten Tösstal verfolgten Mitglieder der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde auf ihrer Frühlingsexkursion den Ausbau der industriellen

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Frühlingsexkursion der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde (TVH)

Am Beispiel der Spinnerei Neuthal im obersten Tösstal verfolgten Mitglieder der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde auf ihrer Frühlingsexkursion den Ausbau der industriellen Nutzung der Wasserkraft. Der Besitzer der Spinnerei, Adolf Guyer-Zeller, 1839–1899, wurde aber nicht als Textilfabrikant, sondern auf- grund seiner visionären Tatkraft als Bahnpionier und Initiant der Jungfrau Bahn weltberühmt.

«Am 21. Februar 1912, um 5.35 Uhr, flogen mit lautem Explosionsdonnern die letzten Gesteinsschichten weg und fahles Morgenlicht drang zu den Mineuren – der Durchstich des Stollens der kühn angelegten Jungfrau- Bahn auf hochalpinen 3450 m über Meer war vollbracht», so zitierte Ernst Grob, Obmann der TVH, die damalige Berichterstattung. «Grund genug, des mutigen Unternehmers Adolf Guyer-Zeller hundert Jahre später an seinem ursprünglichen Wirkungsort zu gedenken», fügte er an.

Auf historischen Wanderwegen

Als weitsichtiger Patron liess Guyer-Zeller für seine Arbeiter der Spinnerei schon damals in den Schluchten des umliegenden Tössberglandes Wanderwege anlegen. Einem der Interessantesten dieser gut unterhaltenen Wege folgten wir nun über insgesamt 31 Brücken und 37 Treppen durch das romantische Lochbachtobel auf die Hohenegg und hinunter nach Neuthal. Unterwegs machte der Obmann auf die Nagelfluhbänke, die hier der oberen Süsswassermolasse zugehören, aufmerksam. Genau gleich wie im nahen Toggenburg sind diese Schichten unterschiedlicher Durchlässigkeit. Grund für häufige Quellhorizonte und Ursache der zahlreichen Gerinne in den erodierten, steilen Tobeln. Diese verfügbare, natürliche Wasserkraft wurde früh für Mühlen und Sägen, mit der aufkommenden Industrialisierung dann zum Betrieb von Fabriken genutzt. Industrien in diesen abgelegenen Tälern konnten sich aber nur mit guten Verkehrsverbindungen, damals Fuhrwerken oder Dampfbahnen, entwickeln.

Eisenbahnkönig

Es erstaunt also nicht, dass Guyer-Zeller sich neben seinem Textilbetrieb sehr aktiv mit dem aufblühenden Bahnwesen befasste. Anton Heer aus Flawil berichtete unterwegs als Bahnhistoriker über die Erschliessung der Region, die Rolle Guyer-Zellers als Finanzmann, später Mehrheitsaktionär, Direktor und Präsident der damaligen Nordostbahnen. In seiner zielstrebigen, oft unzimperlichen Art, gewann der «Eisenbahnkönig» vor allem in Zürich nicht nur Freunde, trieb aber den Bahnbau in der Nordostschweiz kräftig voran.

Nicht über das Planungsstadium hinaus kam die Idee einer Engadin-Orient-Bahn. Im Dezember 1893 reichte er dafür ein Gesuch für den verwegenen Bau einer Bahn auf die Jungfrau ein, deren Konzession ihm im Februar 1895 erteilt wurde. Nach geleisteter Anfangsfinanzierung aus eigenen Mitteln wurde mit dem Bau bereits 1896 begonnen, was die energische Tatkraft des Initianten erkennen lässt. Die alpine Forschungsstation Jungfraujoch wurde von ihm vorgeschlagen und massgeblich finanziert. Dass er «sein» Neuthal in den gleichen Jahren mit seiner Uerikon-Bauma-Bahnlinie erschliessen liess, sei ergänzend angefügt.

Nasse Energie

Von der Hohenegg absteigend, kamen nach der Überquerung des Wissenbaches die drei für den steigenden Bedarf von Antriebskraft in der Spinnerei nacheinander erbauten Stauweiher in Sicht. Unten bei der Bahnstation Neuthal erwartete uns Heinrich Schneider, der als Führer der heutigen Museumsspinnerei in der ehemaligen Fabrik mitwirkt. Er gab einen ersten Überblick über das weitgehend erhaltenen Guyer-Zeller-Industrieensemble, das die Wasserkraftanlagen, die Spinnerei, das Herrenhaus mit Stallgebäuden, Park, Rohmateriallager und Werkstätten umfasst. Auf dem Rückweg über die Silisegg besuchten wir abschliessend im Friedhof von Bauma das Grabmal dieses vorausschauenden, kühnen, mit seinen Wanderwegen aber auch sozial denkenden Bahnpioniers. Mit nur 60 Jahren starb Guyer-Zeller 1899.

Ernst Grob