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Der deutsche Theologe Michael Seewald erklärte im Wiler Pfarreizentrum, warum auch Dogmen sich verändern können.
Nur Männer sind zur Priesterweihe zugelassen, Frauen sind ausgeschlossen. Dieses Dogma der katholischen Kirche wurde erst im 20. Jahrhundert formuliert. In der Zeit davor nahm es die katholische Gesellschaft als selbstverständlich hin, dass Frauen das Priesteramt nicht ausüben dürfen.
Der deutsche Theologe Professor Michael Seewald erklärte diesen historischen Sachverhalt am Freitagabend im Wiler Pfarreizentrum in seinem Vortrag «Dogmen im Wandel – Wie Glaubenslehren sich entwickeln». Pater Peter Suffel stellte den 32-jährigen Hochschullehrer dem Publikum als einen «Ausnahmewissenschaftler» vor, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität von Münster lehrt.
Laut Seewald geht die Dogmatik in der Katholischen Kirche lediglich auf das Erste Vatikanische Konzil Mitte des 19. Jahrhunderts zurück und sei wandelbarer als man gemeinhin denkt: «Sie bietet Gestaltungsräume und muss das Zeitgenössische aufnehmen.» Denn kirchlicher Glaube sei nicht zwingend göttlicher Glaube.
Zur Illustration zeigte Seewald ein Gemälde des zeitgenössischen Künstlers Nicola Samori, der barocke Stilelemente weiter entwickelt. «Er aktualisiert sie, so dass aus einem barocken Kunstwerk ein zeitgenössisches wird.» Das lässt sich laut Seewald auf den Glauben übertragen. Er soll bewahren und gleichzeitig bereit sein, die Spuren der Gegenwart aufnehmen.
Seewald unterscheidet zwei Typen von Dogmen: Die einen beruhen auf einer göttlichen Erfahrung, die andern sind lediglich eine «Ausdehnung der päpstlichen Deutungshoheit». Darunter fällt gemäss Seewald das Verbot der Frauenordination. So gibt es aus seiner Sicht keine theologischen Gründe gegen Frauen im Priesteramt: «Viele Dogmen sind schon revidiert worden.»
Diese «Modifikationen» unterteilt Seewald in drei Kategorien: Änderungen im kirchlichen Ritus würden in Rom mitunter transparent bekannt gemacht. Andere Dogmen wie die Ablehnung der Evolutionslehre gingen in der Kirche vergessen:
«Man spricht nicht mehr darüber, weil sie offenkundig falsch sind.»
Die dritte «Modifikation» besteht darin, dass ein «Dogma verändert wird, ohne dass dies so gesagt wird». Dazu gehört laut Seewald die Religions- und Glaubensfreiheit, welche die katholische Kirche früher abgelehnt hatte und heute als Selbstverständlichkeit anerkennt, als sei das schon immer so gewesen.
Stellte sich die Frage, warum die kirchliche Lehre solche Mühe bekundet mit der Revision von Dogmen? Laut Seewald fallen einer Institution Fehlerkorrekturen schwer, wenn sie gegenüber ihren Gläubigen einen absoluten Wahrheitsanspruch vertreten will. In der anschliessenden Diskussion waren kritische Einwände gegen die Thesen von Prof. Seewald zu hören. Ein Zuhörer fragte: «Was sollen wir denn noch glauben, wenn Dogmen plötzlich nichts mehr gelten?» Oder gar: «Für was brauchen wir noch eine Kirche, wenn sie die eigenen Lehrsätze über den Haufen wirft?» Professor Seewald konnte diese Einwände nachvollziehen und warnte in seinen Antworten vor Beliebigkeit in Glaubensfragen. Aber er verlangte auch klar:
«Ein Bekenntnis zu Mut und Wagnis zu Neuem.»