Arbeitsgruppen, Apps und Mitsprache sollen das Interesse an der Gemeindepolitik wecken. Das bedeutet zwar einen zusätzlichen Zeitaufwand. Er ist es aber wert, zeigt eine neue Studie der FHS. Der Verfasser ist selbst Gemeinderat.
Die da oben wollen wieder vermehrt wissen, was die da unten wollen, zumindest auf Gemeindeebene. So laden auch Ostschweizer Gemeinden ihre Einwohner gerne zum Gespräch: zu Arbeitsgruppen, zur Zukunftswerkstatt oder zum Höck – auch per Gemeinde-App.
Partizipation heisst das Zauberwort, das die Gemeindepolitiker umtreibt. Die Einwohner sollen stärker in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden – ausgerechnet in der Schweiz, wo die Bürger heute schon viele Rechte haben. Doch sie nutzen sie nur selten, sagt Adrian Giger. «An die Gemeindeversammlungen kommen sechs bis zehn Prozent der Bürger.» Petitionen und Initiativen werden auf Gemeindeebene kaum lanciert. Viele Gemeinden finden zu wenig Behördenmitglieder.
Kurz: Das Interesse an der Gemeindepolitik scheint gering. Das ist auch ein Ergebnis der Umfrage, die Giger unter Thurgauer und St. Galler Gemeinden durchgeführt hat: Etwas über die Hälfte beklagten das eher mangelnde Interesse der Einwohner. Das verwundert ihn nicht. «Oft ist eine Gemeindeversammlung langweilig», sagt Giger, der schon oft dort war – er ist selber Gemeinderat in Münsterlingen. So gehen manche Geschäfte an den Einwohnern vorbei. Was Folgen habe. «Wenn eine neue Turnhalle abgelehnt wird, ist das ein schwerer Rückschlag.» Und wird die Turnhalle bewilligt, verzögern Einsprachen und Beschwerden den Bau. Verfahren, die verhindert werden könnten, wenn man der Bevölkerung rechtzeitig zugehört hätte, sagt Giger.
So glauben rund 90 Prozent der befragten Gemeinden, die Partizipation könne das Interesse an der Gemeindepolitik wecken. Und sie setzen die Mittel bereits rege ein. In Raumplanungs- und Verkehrsfragen werden diese Methoden bereits von einer Mehrheit der Gemeinden genutzt. Auch bei Jugendthemen, bei Umwelt, Energie oder dem Leitbild werden sie gern eingesetzt.
Das kann klein beginnen. In Münsterlingen hat Adrian Giger eine Naturkommission gegründet. Es sind einige Ohrenpaare mehr, die sich im Dorf umhören. «So erfahre ich die Sorgen bei neuen Projekten früher.» Einige Mitglieder sind Fachleute aus dem Dorf. «Oft gibt es Fachleute, die mitarbeiten wollen.» Ein Amt würde sich aber nicht mit Beruf oder Familie vertragen. «So kann man trotzdem auf ihre Kompetenzen zurückgreifen.»
Noch bezeichnet Partizipation ein weites Feld von Methoden: Manchmal geht es nur darum, besser zu informieren. Manchmal will die Gemeinde Meinungen zu laufenden Projekten erfahren. In manchen Arbeitsgruppen können die Einwohner und Betroffenen direkt mitreden oder Ideen einbringen. Stark auf Ideen und Mitarbeit der Einwohner setzen die Gemeinden laut der Studie bei Leitbildern und Jugendfragen. Bei Raumplanung oder Fusionen will man eher die Meinung zu konkreten Vorhaben erfahren.
Bürgerpartizipation kostet Zeit und Ressourcen, gibt Giger zu bedenken. «Es braucht Durchhaltewillen.» Das bestätigen auch die befragten Gemeinden. Transparenz und Offenheit seitens der Behörden ist gefragt, wenn Partizipation erfolgreich sein soll. Das scheint oft zu klappen: Für die meisten Gemeinden lohnt sich der Aufwand. Entscheidungen würden eher akzeptiert, das politische Engagement werde gestärkt, zeigt die Studie. Die Ostschweizer Gemeinden seien damit auf dem richtigen Weg, meint Giger. «In einer nachhaltigen Gemeinde soll die Partizipation zum Alltag gehören», schreibt er in seinem Fazit. So bestehe die Aussicht, die Demokratie mit neuem Leben zu füllen.
Geht es um die Zukunft der Demokratie, setzen die Visionäre auf Internet und Handy. Doch nur kleine Schritte führen zum Ziel. Eigene Apps zum Beispiel. Sie informieren über Neues aus der Gemeinde – oder umgekehrt. Gossau hat beim Nachbarn St. Gallen den Stadtmelder abgeschaut: Mit der App können die Einwohner die Stadt auf Schäden oder Mängel hinweisen. Über 200 Meldungen sind innert zwei Jahren eingegangen. Juxmeldungen kommen kaum mehr vor, nun überwiegen ernsthafte Hinweise – oft auf kaputte Strassenlampen. Auch eine Form der Partizipation. So übernehmen die Bürger Verantwortung, sagte «Mr. Stadtmelder» Urs Salzmann kürzlich dem «Tagblatt».
Gerade bei Jugendthemen setzen Gemeinden auf Partizipation – die Jugendlichen wissen am besten, was sie interessiert, denken sich die Gemeindebehörden, die selbst oft nicht mehr die Jüngsten sind. Doch während sie gerne das fehlende Engagement der Jungen beklagen, nehmen diese das Heft auch mal selber in die Hand: Als der Buchser Jugendrat vor fünf Jahren die Idee eines Jugendparks einbrachte, war die Stadt erst nicht begeistert. Doch die Jugendlichen blieben hartnäckig, organisierten Sponsoren und schlugen ein Projekt vor, zu dem auch die Behörden schliesslich nicht mehr Nein sagen konnten. Ende September wurde der Jugendpark in Buchs nun eröffnet.
Ohne Visionen wäre auch die Gemeindepolitik langweilig: Das weiss man auch in Wittenbach. «Vision 2030» heisst der Prozess, der vor rund einem Jahr mit einer Einwohnerbefragung begann. Daraus entstand mit einer Projektgruppe aus Einwohnern eine erste Skizze vom Wittenbach der Zukunft. Am öffentlichen Forum im Frühling wurde dieses diskutiert. Die Ergebnisse des Forums werden im November präsentiert. Auch wenn das Forum nicht alle Erwartungen erfüllte: Nur gerade 35 Wittenbacherinnen und Wittenbacher kamen in die Turnhalle, deutlich weniger als erwartet. Der Lust auf Mitbestimmung tut dies aber keinen Abbruch. Im nächsten Jahr plant die Gemeinde weitere Partizipationsanlässe. Auch beim Thema Raumplanung sollen die Einwohner mitreden.
Wer das Interesse an der Gemeindepolitik wecken will, muss die Bürger zuerst fürs Dorf begeistern. Das war der Hintergedanke des Projekts, das die Ausserrhoder Gemeinde Bühler im Rahmen einer Idee des Schweizerischen Gemeindeverbands lancierte. Die Kommission Gesellschaft und Soziales sollte Angebote für alle Generationen schaffen. So entstand ein Vernetzungshöck junger Senioren, die Jugend traf sich im Jugendraum «Meet», wo bald ein Karaoke-Abend seinen Anfang nahm. Keine grossen Würfe, gibt Gemeindepräsidentin Inge Schmid in der «Schweizer Gemeinde» zu. Aber es gehe darum, dass sich die Leute in ihrer Gemeinschaft wohlfühlten. Dann, so hofft sie, wären sie vielleicht auch eher bereit, in Behörden mitzuwirken.