«Über Armut muss man reden»

In der Region Werdenberg leben 3000 Menschen am Existenzminimum. Armut gibt es auch bei der arbeitenden Gesellschaft. Verschiedene Institutionen bieten Hilfe an.

Silvia Frick
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Interessierte konnten sich beim Mittagessen im Fabrik-Café, Trübbach, kennen lernen. (Bild: Silvia Frick)

Interessierte konnten sich beim Mittagessen im Fabrik-Café, Trübbach, kennen lernen. (Bild: Silvia Frick)

Vor kurzem sind rund 40 Personen den Spuren der Armut nachgegangen. Eingeladen hat die Seelsorgeeinheit Werdenberg und der Kirchliche Sozialdienst zusammen mit Caritas St. Gallen-Appenzell. Ganze 7,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung leide unter Armut, betonte Knut Fiedler, Pastoralassistent Buchs-Grabs. «Darüber muss man heute reden, und es muss über Hilfeleistungen nachgedacht werden», so das aufgezeigte Ziel dieser Wallfahrt. «In der Schweiz gibt es rund 615000 armutsbetroffene Menschen, und dazu noch etwa 140000 erwerbstätige Working Poors. Rund eine Million lebt also an der Armutsgrenze. Allein im Werdenberg leben 3000 Menschen am Existenzminimum», wusste Snjezana Gajski, vom Kirchlichen Sozialdienst. «Dennoch ist die Armut in der Schweiz kaum zu erkennen, denn darüber wird nicht geredet. Sie sei deshalb, neben dem Bau von Luxuswohnungen, umso mehr bittere Realität», bemerkte Pfarrer Erich Guntli. Arm würden am ehesten alleinstehende Mütter, Geschiedene, kinderreiche Familien, schlecht ausgebildete Jugendliche und Migrantinnen und Migranten. Zudem könne auch «alt, arm sein heissen». Und wie sollen auch noch 36000 Ausgesteuerte eine Stelle finden? Pfarrer Guntli sprach von notwendigem Sozialausbau, denn: «Wenn das Geld nicht reicht, melden sich oft Depressionen».

Armut in Darstellung

Nun zeigten Laiendarsteller Szenen aus der Armut. «50 bis 90 Franken kostet ein Konzertticket. Das kann ich mir nicht leisten. Und, eingeladen sein, aber selber zahlen müssen, ist nicht gerecht», schilderte ein fingierter Sozialkunde. Die nächste Darstellerin zeigte «ihre» Geschichte auf: Arbeit im Verkauf, Heirat, Scheidung, Schmerzen nach Operation, Schlaflosigkeit, Zusammenbruch, Klinik. Zurück zur Arbeit «der blaue Brief», arbeitslos, RAV mit erfolglosen Bewerbungen, ausgesteuert … «Nun finde ich mit 57 Jahren keine Stelle mehr. Was soll ich machen? Sozialleistungen beziehen?» So ihr Rutsch in die Armut. Bis 1950 hätte gegolten: «Wer Arbeit hat, hat Geld». Nun aber gelte in der Wirtschaft: sanieren, entlassen, sparen, Arbeit auf Abruf, Temporärjobs und Unsicherheit. Arbeitgeber müssten Verantwortung übernehmen, wurde gefordert.

Eine folgende Exkursion ins Museum Schlangenhaus Werdenberg stellte frühere Armut dar. Arme im Städtchen erhielten bestenfalls Unterstützung auf Bürgerebene. Oft wurde Bedürftigen die Ausreise nach Amerika nahegelegt, damals war Migration auch für die Schweiz eine Lösung. Heute gilt ein schweizweites Sozialrecht, aber Armut und Migration bilden immer noch eine Randzone. Die Armut von Einwohnern beträgt 10 Prozent, die in der Migration 20. «Wenn du eine Gesellschaft werten willst, beobachte, wie sie mit den Armen umgeht», zitierte Museumsführer Gähwiler.

Wer leistet den Armen Hilfe?

Die Richtlinien der Armutsbegrenzung werden durch die Skos (Schweizer Konferenz für Sozialhilfe) bestimmt. Aber die Unterstützung reicht bei heutigen Mieten und Krankenkassenprämien kaum. In Buchs führt der Diakonieverein eine «Kafihalle» als Treffpunkt für Menschen in schwierigen Lagen.

Bei psychischer Belastung hilft das Psychiatrie-Zentrum Werdenberg-Sarganserland in Trübbach. Als Tagesklinik bietet es Gruppen- und Einzeltherapien an. Und das Thema «Armut – mehr als kein Geld im Sack» wurde im Sozialamt Sennwald erklärt. Hilfe zur Einforderung nicht bezahlter Alimente, wurde Schritt für Schritt aufgezeigt. Gezielte Diskussionen entstanden, denn in allen Institutionen verspürte man hohe Teilnahme.