Mit der zweiten Fangsaison ist nun die Besenderungsaktion von Hirschen des Forschungsprojektes «Rothirsch in der Ostschweiz» erfolgreich abgeschlossen. Einige der ersten Ergebnisse haben die Forscher bereits erstaunt.
REGION. Oft ist über Tiere zu lesen, die in ihrem Bestand rückläufig oder gefährdet sind, da ihnen immer weniger geeignete Lebensräume zur Verfügung stehen. Genau umgekehrt sieht es beim Rothirsch in der Ostschweiz aus. Seit Jahren ist er auf dem Vormarsch. Die intelligenten Tiere verstehen es ausgezeichnet, sich an den vorhandenen Lebensraum anzupassen. Sie sind lernfähig, speichern ihre Erfahrungen ab und geben diese gar an kommende Generationen weiter. Davon ist auf jeden Fall der Obertoggenburger Wildhüter Urs Büchler überzeugt. Er bezeichnet es deshalb auch als grosse Herausforderung, die rund 30 Hirsche für das Forschungsprojekt «Rothirsch in der Ostschweiz» zu besendern. Diese sollen dank neuster GPS-Technologie neue Erkenntnisse zum Wanderverhalten des Rotwildes in der Ostschweiz liefern.
Mit dem Frühjahr geht die zweite Fangsaison des über rund vier Jahre angelegten Projektes zu Ende. Die vom Forschungsprojekt angestrebte Anzahl konnte erfolgreich besendert werden. Während in der ersten Fangsaison im Winter 2014 sieben Tiere besendert werden konnten, lief die Fangsaison 2015 vor allem Anfang Februar ausgezeichnet. Insgesamt wurden nun 42 Hirsche erfasst. Davon tragen 14 «Werdenberger» Hirsche ein GPS-Halsband und 16 eine Ohrenmarke. Die restlichen Tiere wurden im Obertoggenburg, im Neckertal und in den Kantonen Ausserrhoden und Innerrhoden besendert. Wobei die Wildhüter Tiere im Wachstum aus Sicherheitsgründen nur mit einer Ohrenmarke versehen.
«Um die Hirsche gut narkotisieren zu können, wurden sogenannte Kirrungen angelegt», sagt Urs Büchler. Das heisst, die Hirsche wurden mit Futter angelockt. Da ein Schuss aus einem Narkosegewehr auf maximal 25 Meter begrenzt ist, war es sehr wichtig, jeweils einen passenden Platz für den Fang der Rothirsche einzurichten. So musste beispielsweise sehr genau darauf geachtet werden, dass die Hirsche nicht schon die Ankunft der Wildhüter an der Kirrung bemerkten.
Nun machen sich die beteiligten Fachleute gespannt an die Aufzeichnung und Auswertung der von den besenderten Tieren übertragenen Daten. Die Ergebnisse sollen die Grundlagen für das Management des Rotwildes in der Ostschweiz werden.
Ziel ist auch eine effiziente Jagdplanung über die Kantonsgrenzen hinweg. Mit Hilfe der Sender werden die Wanderungen, Pulsraten und Körpertemperaturen der Hirsche aufgezeichnet. Ausserdem wird untersucht, welches Nahrungsangebot die Lebensräume bereit halten und wie es vom Rotwild genutzt wird. Diese Analyse soll Erkenntnisse zum Einfluss auf den Wald und wirkungsvolle Lenkungsmassnahmen bringen. Da die vom Rothirsch besiedelten Regionen auch vom Menschen intensiv genutzt werden, soll in ausgewählten Gebieten beobachtet werden, wie die Wildtiere auf menschliche Einflüsse reagieren. Bereits werden auch erste Massnahmen für ein konfliktarmes Zusammenleben getestet.
Konfliktpotenzial bietet sich beispielsweise mit Waldbesitzern. So wird seit den 1960er-Jahren im Kanton St. Gallen immer wieder über grosse Waldschäden durch Hirschschälungen berichtet. Der Höhepunkt der Wald-Wild-Problematik war die Klage von St. Galler Waldeigentümern, wegen eines grossen Wildschadenfalls im Werdenberg im Jahr 2006, der 2009/2010 vor Bundesgericht landete, letztlich aber gütlich beigelegt werden konnte. Solche Konflikte erhöhen den Druck auf die Behörden, eine Lösung zu finden. Allerdings bestanden bisher nur Vermutungen, wie sich die Rothirsche über die Jahreszeiten verschieben und wie sie die Lebensräume in den drei Kantonen St. Gallen, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden nutzen.
«Einige dieser Vermutungen haben sich durch die ersten Daten bereits bestätigt, andere nicht», weiss Urs Büchler. Um gesicherte Aussagen zu machen, ist es zwar noch zu früh. Allerdings bestätigte sich, dass einige Toggenburger Hirschstiere zur Brunft ins Werdenbergische ziehen. Dass sie jedoch zielgerichtet in einer Nacht hin und nach der Hochbrunft auch wieder zurückwandern, wie einer der besenderten Toggenburger Stiere letzten Herbst, hat die Wildhüter dann doch erstaunt. Ebenfalls erstaunlich war die junge Hirschkuh, die sich für den Sommer nicht in die höheren Lagen zurückzog, sondern im Saxer Riet und der Salezer Au verbrachte (siehe Front). Diese ersten Beobachtungen lassen auf spannende Erkenntnisse über den Rothirsch in der Ostschweiz hoffen.