Poesiealben waren einst Erinnerungsbücher mit handschriftlichen Einträgen bekannter und lieber Mitmenschen. Oft prangte noch ein kitschiges Hochglanzbildchen neben der Widmung.
Hansruedi Rohrer
Noch in der Schulzeit des Autors dieses Artikels zirkulierten sogenannte Poesiealben, in denen sich Mitschülerinnen, Mitschüler, Verwandte und Bekannte mit einem Sprüchlein oder sonst einem kleinen Beitrag verewigen konnten.
Es gab auch die ganz kleinen Büchlein, die man «Vergissmeinnicht» nannte. Dort beschränkte sich der Eintrag auf die Unterschrift von Vorname und Name sowie vielleicht noch Jahrgang der Person auf der Seite seines Geburtstages. Damit umfassten diese Gedenkbüchlein 366 Seiten (eingerechnet der 29. Februar). Die Alben waren vor allem bei den Mädchen beliebt.
Die Poesiealben waren vielleicht am Anfang des 20. Jahrhunderts so richtig gang und gäbe. Wohl existieren noch einige Exemplare in Familienbesitz aus Grossmutters und Urgrossvaters Zeiten. Mit diesen Alben wurden einst die Freundschaften auf ewig besiegelt.
Das geschah als sinniger Spruch, mit einer herzlichen Grussbotschaft oder auch mit einem zitierten Bibelvers. Einige Beispiele: «Die Rose blüht, der Dorn der sticht; die Liebe spricht Vergissmeinnicht» (1931). «Blüh’ wie das Veilchen im Moose, einsam, bescheiden und rein; nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein» (1931). «Sonne im Heim und Sonne im Herzen, da ist das Leben ein Lieben und Scherzen» (1931). «So wie die Rose blüht, so blühe auch dein Glück; und wenn du Rosen siehst, so denk an mich zurück» (1932). «Solange die Erde Vergissmeinnicht bringt, solange das Efeu die Bäume umschlingt, solange soll unsere Freundschaft bestehn, bis wir zusammen ins Himmelreich gehen» (1932).
Im Album einer Buchserin steht der Eintrag vom 6. Mai 1907: «Das beste Glück sei dir beschieden, auch wandle froh durchs Leben hin, in deinem Herzen wohne Frieden, auch sei für mich ein Plätzchen drin.» Oder auch schön: «Es sind Blumen nur, die ich dir geweiht, doch liegen meine Wünsche drin verborgen, und wie die heit’re bunte Blumenzeit, sei glanzerhellt dein schöner Lebensmorgen; und wenn einst in einsam stillen Stunden, dich der Erinnerung Blüten noch erfreuen, dann hat sich schnell dein Geist zu mir gefunden und freundlich liebevoll gedenkst du mein. Gewidmet von deiner Gritta Eggenberger, 11. Februar 1908.»
Es waren nicht nur papierene Blumengrüsse, die ins Album eingeklebt wurden. Zur Verzierung hatten auch aus Papier ausgestanzte Tauben, musizierende Engelchen, Kleeblätter, Hufeisen, Blumenkarretten und weiteres mehr in leuchtenden Farben ihren Platz.
Ein solches Freundschaftsalbum war für die Besitzerin sehr wertvoll und wurde auch noch im Erwachsenenalter gehütet und wohl aufbewahrt. Diese Alben geben ebenso ein beredtes Zeugnis einer anderen, entbehrungsreichen, einfachen Zeit ab. Es sind Zeitdokumente und gleichsam Beweise eines liebenswerten, vergangenen Brauchtums.