«Die Verfassung ist kein Versuchslabor» Ausgabe vom 18. Mai 2016
Dominic Wirth als Verfasser der redaktionellen Stellungnahme zum bedingungslosen Grundeinkommen fährt ganz grobes Geschütz gegen die Volksinitiative auf. Er behauptet, die Initianten hätten nichts zu bieten als eine gute Kampagne, aber kaum Argumente. Einem Komitee die gute Kampagne vorzuwerfen, ist absurd; der Vorwurf mangelnder Argumente ist schlicht falsch. Wer am Thema interessiert ist und sich eine Meinung bilden will, findet im Internet leicht Argumentarien für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es würde sich auch lohnen, sich das Radio-Tagesgespräch vom 19. Mai zwischen Nationalrätin Kathy Riklin und dem Initianten David Häni anzuhören.
Der Redaktor versteigt sich zur Behauptung, die Initianten missbrauchten die direkte Demokratie. Mit Verlaub, dies zeugt von mangelndem Respekt gegenüber den Initianten und den über 100 000 Bürgerinnen und Bürgern, die das Begehren unterschrieben haben. Die zukünftige Finanzierung unseres sozialen Netzes braucht neue Lösungen. Die Initiative bringt einen, wenn auch radikalen Vorschlag in diese Diskussion ein. Das ist ihr Verdienst. Der Ausgang dieser Diskussion ist offen. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass eine Mehrheit das heutige System als das bessere bewertet. Aber gelöst ist das Problem damit nicht.
Der Redaktor beurteilt die Initiative als «unausgegoren» und unterstellt ihr, sie richte Schaden an. In die Verfassung gehören Grundsätze, die konkrete Umsetzung gehört in Gesetze. Immer seltener wird diese Aufgabenteilung bei Initiativen berücksichtigt. Die vorliegende Initiative hingegen macht dies korrekt: Sie verlangt im 1. Punkt als Grundsatz vom Bund die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und führt im 2. Punkt dessen Wirkung aus: «Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen». Der 3. Punkt verlangt, dass die konkreten Regelungen im Gesetz gemacht werden.
Am 5. Juni stimmen wir also über den Grundsatz für ein neues soziales Netz ab, genauso wie zum Beispiel über den Grundsatz der Einführung einer AHV oder der Abschaffung der Armee abgestimmt wurde. Es steht dem Werdenberger & Obertoggenburger natürlich frei, für ein Nein zu werben. Dies sollte aber mit Argumenten und mit Respekt geschehen.
Ich werde ein Ja in die Urne legen, weil ich glaube, dass wir über neue Lösungen angesichts des steten Verlusts von Arbeitsplätzen und der Zunahme von Arbeit, die von Freiwilligen zu leisten sein wird, ernsthaft nachdenken müssen.
Hildegard Fässler
Tulpenweg 7, 9472 Grabs